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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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steinernen Leib wühlen oder den Lauf , wie ich es damals wohl nannte. Skwara seufzte immer, ach, ist das schön, ach, ist das gut, je nachdem, ob es durch die Augen oder durch den Gaumen einging, und ich meinte, siehe da, der überglückliche Skwara, heilig heilig, wenn er sich auch noch so gern als Selbstmörder deklariert. Er hat seine Su-Anne und viele andere Rettungswagen und Lustkutschen und Zudiener. Und vor allem hat er sein kindliches Königreich, in dem er mit Krone und Szepter thront und herrscht, ein Phantast.
    Es ging dann über die antiken Ausfallstraßen hinaus zum Flughafen Ciampino und dort durch Kontrollen, Wartesäle und Warteschlangen endlich ins Flugzeug und durch die Luft nach Paris-Orly und wieder mit Bus nach Denfert-Rochereau unweit meiner Straße; und Skwara per Taxi in seine Ecke, wo Su-Anne bereits wartete und den Tisch gedeckt hatte. Den folgenden Sonntag lag ich nach kurzem Einkauf den ganzen Tag in einer Art Schock darnieder. War niemand, der nach mir gefragt hätte, nur die Anrufe auf dem Beantworter zum Abhören. Und jetzt höre ich mit diesem Notieren auf.
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    Auf dem Anrufbeantworter bei meiner Rückkehr aus Rom war auch die Nachricht von Pips' Tod (Walter Pips Vögeli), Bildhauer, Postgasse 20, Bern, mein lieber Geselle in der Berner und mehr noch in meiner Zürcher Zeit, als ich berufshalber mit lauter Künstlern verkehrte. Ich weiß noch, daß ich ihn beim ersten Kennenlernen für vulgär und pro
vokant hielt, was sich bald in große Brüderlichkeit verkehrte, ich war oft in seinem so ordentlichen Atelier, das hintenhinaus auf die Aare ging und wo auch ein Velo/Fahrrad, oder wars ein Motorrad?, schön aufgebockt seinen Platz hatte. Er war ein Draufgänger, tollkühn, notfalls auch Schläger; und er war in seiner Arbeit (einer der ersten, der mit Kunststoffmaterial arbeitete, vordem Metall und noch früher Malerei abstrakt-tachistisch) exakt wie ein Uhrmacher, ebenso reinlich und umsichtig. Auf Künstlerfesten exzessiv. Er war, vermute ich, das Alter ego meiner damals bürgerlichen oder doch bezähmten Person, er war eine Art Wunschbruder, und er guckte belustigt und neugierig zu mir über einen Zaun hinweg. Erinnere mich an mehrtägige und -nächtige Sauftouren und auf brüderliches Zusammensein in der Küche seiner ausgedehnten Altstadtwohnung, gewissermaßen im Hinterzimmer eines Lokals in verschwörerischer Komplizität wie Syndikatsbrüder. Ich war gern mit ihm zusammen, er bot mir einen Unterschlupf im Unbändigen ähnlich Friedrich Kuhn. Er sah gut aus, hatte immer sein Kampfgewicht und das leicht abschätzige, beschnauzte Gesicht. Nach viel Wein kriegte er den rednerischen Kehrreim, der nicht zu bremsen war und einen leicht philosophischen Drall hatte. Ich hatte bei meinem letzten Bernbesuch vor, ihn aufzusuchen, und verpaßte ihn. Er war lange krank, hatte nurmehr einen Viertel Lungenflügel. Unsere Beziehung fußte oder gründete auf einer bedingungslosen Verläßlichkeit. Er habe keine Abdankung, keine Todesanzeigen haben wollen, Kremation und die Asche in die Aare, habe er verfügt, sagte Willi Ebinger am Telefon, er sei einige Wochen im Spital gewesen und (ohne Todeskampf) eingeschlafen. Erinnere mich, wie er von seinem Schlaganfall sprach. Er hatte sich hingelegt und merkte beim Aufstehen, daß er halbseitig gelähmt war und nicht mehr sprechen konnte, was seine Angehörigen und auf ihn wartenden Freunde im Nebenzim
mer für Spaß hielten, bis sie aufschreckten und den Notdienst anriefen. Er kam gleich in die Behandlung und konnte gerettet werden, wenn das Wiedergewinnen der Sprache auch seine Zeit benötigte. Er erzählte, daß er keine Angst hatte, wenn er durchs Spitalfenster auf eine Baustelle schaute und die Arbeiten verfolgte, die er problemlos begriff, nur daß er sich verbal keinen Reim darauf machen konnte, er konnte sich nicht ausdrücken. Ich glaube, er wurde verhältnismäßig früh, ich schätze nach 60, von schweren Krankheiten befallen, Schlaganfällen, Lungenkrebs, Operationen und Krankenhausaufenthalte. Er lebte mit Ausnahme einiger Motorradfahrten, die eher Ausbrüchen denn Reisen geglichen haben müssen, sehr regelmäßig und vor allem ansässig, arbeitsam auch, mit der obligaten Einkehr ins Wirtshaus vor dem Abendessen. Bei Festen war er unbezähmbar. Er gehörte wohl zu meinem engsten Kreis. Er
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