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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin
Autoren: Andreas Franz
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gegeben, wenn, dann sind wir beide schuld!«
    »Ach komm, hör doch auf damit! An was bist du denn, bitteschön, schuld?! Dummes Geschwätz!«
    Sie betrachtete ihre rissigen, spröden Hände, sie spielte noch immer gern Klavier, gab Nathalie und Alexander Unterricht, aber das Spielen fiel ihr zusehends schwerer, denn trotz ihrer noch relativ jungen Jahre ließ Arthritis ihre Finger verkrüppeln, und meist bei Wetterumschwüngen litt sie arge Schmerzen; sie tat ihm unendlich leid, weil es in ihrem Leben nichts gab, sie nie etwas verbrochen hatte, das diese Schmerzen gerechtfertigt hätte, sie tat ihm leid, weil sie sich nicht mehr ansehnlich fand; all dies für ihn ein zusätzlicher Grund, diese ganze elende Lage noch mehr zu verfluchen, denn wenn jemand verdient hätte, das sorgenfreie Leben von früher zu führen, dann Johanna. Letztlich war es auch ihr Verdienst gewesen, daß sie sich einige Jahre jeden Luxus leisten konnten, sie hatte schließlich damals durch ihr Klavierspiel mitgeholfen, sein Studium zu finanzieren.
    Sie hatte die Hände gefaltet, den Blick gesenkt, die Haarsträhne an ihrer Stirn löste sich, sie sagte leise: »Vielleicht sollten wir einfach nur mehr Gottvertrauen aufbringen.«
    Er seufzte auf, schüttelte kaum merklich den Kopf. Gott. Wenn nichts mehr ging, kam Johanna mit Gott. Der Gott, den sie morgens, mittags und abends anbetete, von dessen Existenz sie so fest überzeugt war, selbst jetzt, in dieser trostlosen Lage. Sie hatte nie Gott die Schuld gegeben, daß er ihnen nicht beigestanden hatte, als sie von einer Sekunde zur andern alles verloren hatten. Johanna hatte einen bedingungslosen, kindlich-naiven Glauben, um den David sie bisweilen beneidete. Doch er gestand sich ein, daß ihm dieser letzte Rest an Kindlichkeit, an Naivität fehlte, vielleicht lagen die Ursprünge dafür in seiner Kindheit, als Gott für ihn ein Monster gewesen war, das nur strafte und seine Kindernur dann liebte, wenn sie mit essigsaurer Miene durchs Leben gingen und den ganzen Tag über Rosenkränze beteten. Wie Mutter, die einen Rosenkranz nach dem anderen herunterleierte, die nie lächelte, nur Bitterkeit und Groll in sich hatte. David hatte oft gerätselt, was die Wurzeln dieser Verbitterung und dieses Zorns waren, Antworten hatte er keine gefunden. Vielleicht kam sie nicht darüber hinweg, mit einem Adeligen verheiratet zu sein, der aber, anstatt sich zu seinem Stand zu bekennen und entsprechend zu leben, einfach nur ein Landarzt für Mensch und Vieh war, der seine Arme bis zu den Schultern in die Ärsche von Rindern steckte und wenig später Menschen behandelte. Vielleicht war es das relativ bescheidene Leben, das zu führen sie verdammt war, vielleicht verwand sie nicht den Wohlstand ihrer Schwester Maria und deren Mann Gustav, die einen riesigen Gutshof mit ausgedehnten Ländereien bewirtschafteten und bei denen David sich gerne aufhielt, als er noch klein war. Tante Maria war eine herzensgute Frau, liebevoll und gütig, die für einige wenige Jahre mehr Mutter für ihn war als seine eigene Mutter, die ihn auf den Schoß nahm, ihm Geschichten erzählte oder vorlas, die mit ihm Lieder sang, mit ihm durch die Wälder oder entlang der Felder spazierenging. Damals, als er noch ein kleines Kind war, vor Ewigkeiten also, lebten sie in einem gottverlassenen Kaff in Oberfranken, nahe der tschechischen Grenze, von der bei Ostwind an manchen Tagen der Gestank von Katzendreck herübertrieb.
    Aber es war nur eine kurze Zeit, in der ihm die Kindheit etwas versüßt wurde, genau gesagt bis er fünfeinhalb war und Tante Maria schwanger wurde. Und wenn er auch noch ein kleines Kind war, er spürte die Veränderung, die mit seiner Tante vor sich ging. Noch bevor die Schwangerschaft sichtbar war, verfiel sie in tiefe Depressionen, warum, vermochte keiner zu sagen, aber sie wurde immer in sich gekehrter. Sie nahm ihn kaum noch auf den Schoß, und wenn, dann nicht mehr mit der Zärtlichkeit vergangener Wochen,Monate, Jahre. Dann und wann sah er sie stumme Tränen weinen. Die ganze Atmosphäre im Haus wurde gedrückter, es war, als hinge eine unsichtbare Spannung wie ein dichtes, undurchdringliches Spinnennetz in allen Räumen, und so sehr man sich auch bemühte, es zu durchdringen, es schien unmöglich.
    Sie brachte ein Mädchen zur Welt, kurz nachdem David sechs geworden war. Nur noch selten ging David zu Onkel Gustav und Tante Maria, mit seiner kindlichen Sensibilität spürte er, daß er nicht mehr so willkommen war wie
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