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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin
Autoren: Andreas Franz
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früher. David war acht und das Mädchen knapp zwei Jahre alt, als das Unglück den ganzen Ort erschütterte und lähmte. Tante Maria hatte sich offensichtlich in einem Anfall tiefster Depression eine großkalibrige Pistole in den Unterleib geschoben und zweimal schnell hintereinander abgedrückt. Es hieß, der ganze Raum sei von Blut getränkt gewesen, die Decke, die Wände, der Schrank, die Stühle, das Sofa, der Fußboden und der Teppich, selbst Tante Marias liebevolle Sammlung kleiner Porzellanfiguren und -figürchen. Und niemand kannte den Grund für diese scheinbar sinnlose und wahnsinnige Tat.
    Onkel Gustav, ein gebrochener Mann, verkaufte kurz darauf seinen Hof, nahm seine Tochter und verließ den Ort. Er verriet niemandem, wohin es ihn trieb, wo er ein neues Leben anfangen wollte, um zu vergessen, was er in seiner alten, vertrauten Umgebung nie würde vergessen können.
    Vielleicht hatte David dies und so einiges mehr mißtrauisch gegenüber allem gemacht, was mit Gott zusammenhing, vielleicht war es auch nur ein Teil seines Wesens. Und zudem versuchte er mit dem Verstand zu erforschen, was mit dem Verstand nicht erforschbar war, glaubte er nur die Dinge, die er mit seinen fünf Sinnen wahrnehmen konnte. Dies unterschied ihn von Johanna. Und obwohl er lange Zeit Sonntag für Sonntag mit Johanna die Kirche besuchte und dort vorgab, an Gott zu glauben, an diesen von Johanna alsliebevoll und gütig und vergebend gepriesenen Gott, so fehlte ihm die echte Überzeugung, ob all dies, was dort gepredigt wurde, auch der Wahrheit entsprach. Doch oft, wenn Johanna in brenzligen Situationen mit Gott kam, dann explodierte etwas in ihm. Wie jetzt.
    Einen Moment herrschte Stille, er preßte die Arme noch fester an die Brust, mahlte mit den Kiefern aufeinander, schloß die Augen, hörte das dumpfe Schlagen seines Herzens, lachte zynisch auf, seine Worte mußten wie Speerspitzen in ihr Herz und ihre Seele dringen: »Gott, Gott, Gott, daß ich nicht lache! Wo war er denn, als wir ihn so dringend brauchten?! Gott ist parteiisch, diesem gibt er, den andern lacht er aus! Er macht Gewinner und er macht Verlierer. Und die Gewinner werden belohnt, die Verlierer gedemütigt. Das ist sein Spiel des Lebens! Weiß der Teufel, nach welchen Kriterien er seine Gunst verteilt, aber ich gehöre ganz sicher nicht zu denen, die seine Sympathie haben! Und seit wir hier in diesem … gottverdammten … Haus dahinvegetieren, sind wir sowieso überhaupt nichts mehr wert!« Er streckte provozierend den rechten Mittelfinger in die Höhe, machte ein verächtliches Gesicht. »Es ist einfach nur zum Kotzen!«
    »Es ist nicht Gottes Schuld. Wir sind zwei erwachsene Leute, wir haben Fehler gemacht …«
    »Verdammt, jetzt hör endlich auf!
Ich
habe Fehler gemacht und nicht du.«
    »Und vielleicht leben wir einfach nicht so, wie wir sollten«, sagte sie trotzig, stand auf, stellte sich dicht vor ihn. Ihr Atem berührte sein Gesicht, er roch ihren Schweiß, sie streichelte mit ihren nach Zwiebeln riechenden Fingern über seine Stirn und sagte versöhnlich: »Komm, hören wir auf, zu streiten. Zieh dir für heute abend was Gutes an. Diese Bande soll auf gar keinen Fall denken, daß wir asozial geworden sind. Wenn wir auch so gut wie nichts haben, wir sind nicht asozial!«

Donnerstag, 19.30 Uhr
    Er war innerlich aufgewühlt, als er sich auf den Weg zu diesem E NRICO machte. Der Verkehr war zäh und stockend. Johannas Worte hallten in seinen Ohren wider und wider. Es waren immer nur Kleinigkeiten, mit denen sie ihn in letzter Zeit immer häufiger zur Weißglut treiben konnte, ein Wort nur, ein Satz, vielleicht auch nur eine Geste oder ein Blick. Geschickt versteckte Anspielungen, mit denen sie ihn offensichtlich aufforderte, ihre Situation zu ändern; zumindest empfand er es so. Er fühlte sich einfach nur miserabel. Immer öfter hielt sie ihm einen Spiegel vor, stellte Anforderungen, die sie früher so nie gestellt hatte, nie zu stellen brauchte. Sie erwartete, daß er den Kindern ein »Vater« war, Zeit für sie aufbrachte, mit ihnen etwas unternahm. Es war wieder einer der Momente gekommen, der ihm die Sinnlosigkeit seines jetzigen Daseins mehr als deutlich vor Augen führte.
    Er parkte das Auto im Halteverbot, in der Hoffnung, jetzt am Abend nicht aufgeschrieben oder gar abgeschleppt zu werden. Er trug eine helle Sommerhose, ein weißes Hemd mit dezenter, gelb-grüner Krawatte und ein kariertes Sommersakko. Er malte sich die bevorstehenden Minuten, mehr
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