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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin
Autoren: Andreas Franz
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begonnen hatte, war der Regen gekommen, Sturzfluten hatten sich über die Stadt und das Land ergossen, und jetzt regnete es schon seit drei Tagen fast ununterbrochen, herrschte graue, triste Dämmerung. Zwar hatte der Regen Abkühlung mit sich gebracht, dafür war die Feuchtigkeit in jeden Winkel der Wohnung gekrochen. Aber der Regen war nicht der Grund, weshalb er sich miserabel fühlte, seit Tagen unter stechenden Kopfschmerzen in der linken Schläfe litt, keinen Appetit hatte und ein gähnendes schwarzes Loch sich wie ein riesiger, gefräßiger Schlund vor ihm auftat. Begonnen hatte es am Dienstag, als die erste Rechnung wie eine tickende Bombe im Briefkasten lag, am Mittwoch, Donnerstag und Freitag waren es jeweils zwei Rechnungen, und am Samstag kamen gleich fünf auf einen Streich. Es war das gleiche wie immer, Telefon, Versicherung sowie die Rate für den Autokredit, die von der Bank wieder einmal mangels Deckung nicht überwiesen worden war. Dazu kamen die Reparatur der Waschmaschine, ein Strafmandat für falsches Parken (vierzig verdammte Mark für zehn Minuten Parken im eingeschränkten Halteverbot, nur weil die dämliche Kuh in seiner Bankfiliale geschlagene fünf Minuten ein privates Telefonat führte!), die in einem Monat fällige Kfz-Steuer, die zweimonatliche Gas- und Wasserrechnung. Alles in allem, zusammen mit Miete und den anderen Ausgaben einesgroßen Haushalts, 2937,85 DM. Das war verdammt viel für jemanden, dessen Einkommen kaum höher lag. Verdammt viel für jemanden, dessen Kinder dringend neue Sommerkleidung brauchten. Verdammt viel für jemanden, der ohnehin nichts mehr hatte und wahrscheinlich auch nie wieder etwas haben würde. Er dachte die absurdesten Gedanken, wie er die Situation seiner Familie verbessern konnte, doch entweder waren diese Gedanken kriminell oder nicht durchführbar.
    Dabei hätte er noch vor einem Jahr angesichts der Höhe dieser Rechnungen nur müde lächelnd mit den Schultern gezuckt und sich nicht einmal im Traum vorstellen können, kaum zwölf Monate später auf der anderen, der lausigen Seite des Lebens zu stehen.
     
    Es war der 10. Mai gewesen. Ein warmer, sonniger Tag. Er war gerade ins Büro gekommen, etwas später als sonst wegen eines Zahnarzttermins, die meisten anderen der siebenundzwanzig Angestellten waren bereits anwesend, bis auf eine Schreibkraft, die nur halbtags arbeitete und heute erst um dreizehn Uhr kommen würde, und der Buchhalter und Prokurist Dr. Edouard Meyer, dessen Krankmeldung auf David von Marquardts Schreibtisch lag. Er würde die nächsten zehn Tage nicht da sein. David nahm sich vor, ihn gegen Mittag anzurufen, nicht um ihm nachzuspionieren, dazu kannte er Meyer zu gut, er war zu korrekt, als daß er eine Krankheit nur simuliert hätte, sondern um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Seit fünfzehn Jahren kannten sie sich, seit elf Jahren war er für David eine unverzichtbare Kraft, ein fleißiger, analytischer Kopf, dem es mit zu verdanken war, daß das Unternehmen so florierte. Doch es war vor zwölf Jahren auch Glück gewesen, in einen gerade boomenden Markt vorzustoßen – Software für PC-Anwender, Textverarbeitung, Tabellenkalkulation. Vor allem mit dem Textverarbeitungsprogramm hatten sie den Markt gestürmt,hatten ein Produkt entwickelt, Marqword, das alle anderen damals erhältlichen Programme mit Riesenschritten hinter sich ließ. Entwickelt von David und seinem besten Freund Michael Treusse, der aber den gewaltigen Erfolg des Produkts nicht mehr auskosten konnte, ein ruptiertes Aneurysma der Bauchschlagader hatte seinem noch jungen Leben ein jähes Ende bereitet. Das einzige Glück war, wenn es überhaupt etwas Positives an seinem Tod gab, daß er weder eine Frau noch Kinder noch eine Geliebte hinterließ, er war schwul, lebte allein, hatte nur dann und wann eine lose Beziehung, die sich in den meisten Fällen auf One-Night-Stands beschränkte. Was David jedoch am meisten vermißte, war die unbeschreibliche Genialität, mit der Treusse selbst schwierigste Probleme bei der Programmentwicklung scheinbar mühelos knacken konnte.
    Innerhalb von nur einem Jahr wuchs die Zahl der Angestellten von drei auf zehn. Mittlerweile zählte das Unternehmen insgesamt siebenundzwanzig Mitarbeiter, von denen fünfzehn direkt mit der Neu- und Weiterentwicklung von Programmen sowie der Erstellung von Handbüchern beschäftigt waren. Der Ertrag betrug im letzten Jahr achtundzwanzig Millionen Mark, der Kreditrahmen bei der Bank fünfzehn
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