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Die Bank im Park

Die Bank im Park

Titel: Die Bank im Park
Autoren: Heinz G. Konsalik
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trug, war ein Geschenk seines Freundes Marcel Trouvières, des Malers in Clamart, während der Degen nur eine Leihgabe des Abbés Jaques Vendôme, des Seelenhirten mit dem lebhaften Appetit auf junges, festes Jungfernfleisch darstellte.
    Aber man kannte ihn, den Dichter der Allegorie. Wer pries nicht seine verblüffende Gelehrsamkeit und die Treffsicherheit seiner didaktischen Dichtungen, in denen sich kein Verstoß gegen die sprachlichen Regeln fand. In den Salons und Rittersälen wurden seine Balladen von Patriotismus und Heimatliebe, sein ›Le lay de Paix‹, rezitiert. In den Boudoirs der Damen waren seladongrün behoste Diener damit beschäftigt, aus seinem ›Deux fortunés‹ die pikantesten Stellen vorzulesen. An der amüsanten, fast satirischen Moral seines ›Livres des quatre dames‹ entzündete sich das zwitschernde Gelächter der schlanken, gepuderten Jeunesse.
    Doch von Berühmtheit allein kann man noch nicht herunterbeißen; sie muß sich auch umsetzen in klingende Münze, und das war bei Alain Chartier nicht der Fall. In seinem Geldbeutel zeigte sich nur gähnende Leere, und ebensoviel unausgefüllter Platz bot sich dem Blick dar, der in seine Tabatière fiel. Nicht jeder Wirt wollte sich, wenn Chartier einen Schluck Pinard zu trinken begehrte, mit einer kleinen Ode an die bürgerliche Moralität begnügen, die der Dichter als Zahlung leisten konnte.
    Die Banausen, die ihn abwiesen, waren in der Überzahl, sie, die nicht wußten, wie unvorstellbar arm die Welt wäre ohne die Kunst der Dichtung, die Musik der Sprache.
    In solchen Augenblicken der Demütigung hatte es sich Chartier angewöhnt, zu seinem inneren Hochmut Zuflucht zu nehmen, zu seinem lautlosen Spott, den über die anderen auszugießen ihm Erleichterung verschaffte.
    Was versteht ihr alle denn von Höherem, dachte er. Wer, wißt ihr, bin ich? Schrieb ich doch beispielsweise ein Buch über die Moral – ihn nahmt es als ein Lehrbuch guter Sitten –, mir war's ein Spott auf meine eigene Vernunft. Erfassen werdet ihr das nie!
    Mit seinen zierlichen, fast tänzerischen Schritten ging Alain Chartier durch den blühenden Park. Dort, wo sich heute das breite Band der Allée de Longchamps durch die Wälder zum weiten Rennplatz windet, bog er zu den lockenden Seen ab. Manchmal blieb er stehen, löste den Blick vom Himmel, der absolutes Vorrecht hatte, vom Dichter betrachtet zu werden, und stocherte mit der Scheide seines Degens im Sand oder Kies herum, wirbelte Steinchen empor und glättete den Boden wieder mit der Sohle seines Schnallenschuhs. Es war ein Spiel der Müßigkeit, ein unbeschwertes Sichtreibenlassen, zu dem das herrliche Wetter Anlaß gab. Die Sonne brannte hernieder auf das flimmernde Paris, die Sonne eines Sommers, vor dem sich nun schon Wochen hindurch jedes Wölkchen am Himmel in andere, unendlich weit entfernte Regionen des Firmaments geflüchtet zu haben schien.
    Während Chartier sich selbst zusah, indem er mit gesenktem Blick das Spiel seines Degens und seiner Schuhsohle verfolgte, bewegten sich leise seine Lippen; die Lider verdeckten halb seine dunklen Augen.
    »Jetzt in Bordeaux sein«, murmelte er und trat einen weißen Kieselstein in den Sand. »Am Meer liegen, der Brandung lauschen, träumen, sich den Wellen anvertrauen, unter weißen Segeln durch die Riffe schießen – o Leben, wie viele Wünsche läßt du unerfüllt!«
    Plötzlich schüttelte er den Kopf, als zwinge er sich zu erwachen, nestelte ein ledergebundenes Büchlein aus dem Scholarenrock und blätterte mit spitzen Fingern in den Seiten. »Schulden«, sagte er dabei zu sich selbst, »überall nur Schulden; Namen von Freunden; Namen von Geschäften; daneben immer eine Zahl. Oh, ich muß fürchten, daß diese Zahlen wohl nie gestrichen werden können.«
    Er sagte dies aber nicht ängstlich oder gar entsetzt, nicht betroffen, nicht einmal ernsthaft, sondern eher keck, als habe er Spaß daran, daß seine Schulden zu groß waren, um der kleinsten Hoffnung auf Abdeckung zu irgendeinem Zeitpunkt Raum zu geben. Seine Skepsis gegenüber dem ›Tempora mutantur‹ (Die Zeiten ändern sich) der alten Römer belastete ihn nicht. Er setzte sich auf eine Bank neben dem Wind und lauschte mit geschlossenen Augen dem Gesang der Vögel, von dem die Luft ringsherum erfüllt war.
    Das Geräusch eines schlurfenden Schrittes, der sich näherte, schreckte ihn auf. Er sah einen alten Mann, in dessen faltigem Gesicht sich die scharfen Linien kreuzten und querten. Ein weiter Rock
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