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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs
Autoren: Tania Douglas
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gemacht», gab die Mousnier widerstrebend zu. «Aber was soll ich machen?»
    Marie-Provence strahlte sie an. «Mich zu dem docteur bringen!»
    ***
    |23| «Soll das ein Scherz sein?», fuhr der docteur Madame Mousnier an. Seine Stimme hallte im dunklen Flur wider. «Das Auswahlverfahren
     ist beendet!»
    Marie-Provence betrachtete den blassen, dunkelhaarigen Mann mit dem dichten Schnurrbart. Ihr Herz klopfte schnell in ihrer
     Brust. Wie oft hatte sie vor dem riesigen, bewachten Tor gestanden, durch das man ihr keinen Zutritt gewährte und das sie
     von dem Jungen trennte? Und wie oft hatte sie gesehen, wie sich das Tor für einen Einspänner öffnete, in dem dieser Mann saß?
     Der docteur war einer der ganz wenigen Auserwählten, die Kontakt zu dem Jungen hatten. Unzählige Male hatte sie sich bereits
     ihr Gehirn zermartert, auf der Suche nach einem Vorwand, sich dem Arzt zu nähern. Als sie gestern die Anzeige gelesen hatte,
     war sie ihr wie ein Fingerzeig Gottes vorgekommen. Kurz dachte sie an den abbé d’If. Sie tastete verstohlen nach dem Kreuz,
     das sie unter ihrem Kleid verborgen trug.
    «Das Mädchen macht einen guten Eindruck. Ich will, dass du sie dir wenigstens einmal ansiehst», brummte die ältere Frau.
    «Aber   …»
    «Ich bin für den Ablauf hier verantwortlich. Zwar ist die Einstellung des Gehilfen alleine deine Sache, aber du solltest dir
     überlegen, ob es klug ist, einen jungen Burschen unter all diese Frauen zu bringen. Der Anblick eines nackten Busens oder
     einer Geburt ist nicht für jedes Auge bestimmt. Sprich mit dem Mädchen, citoyen. Ich muss jetzt los, die neuen Ammen warten
     auf mich.»
    Jomart sah ihr stirnrunzelnd nach und wandte sich dann Marie-Provence zu.
    «Darf ich fragen, was Sie bewogen hat, sich für eine Stelle zu bewerben, für die ausdrücklich ein Mann gesucht wurde?», fragte
     er kurz angebunden. Er hatte vorstehende Zähne, die wie ein ausgebreiteter Fächer auf seiner Unterlippe lagen, wenn er den
     Mund schloss. Sowohl die förmliche Ansprache, die er verwendete, wie auch seine eher altmodische Kleidung ließen Marie-Provence
     hoffen, dass |24| der Arzt kein eifriger Verfechter der revolutionären Ideologie war.
    «Ich finde, man sollte den Frauen nicht die paar wenigen Gebiete streitig machen, in denen sie privilegiert sind. Schließlich
     dominieren fast überall die Männer», entgegnete Marie-Provence.
    «Gütiger Gott, wollen Sie damit andeuten, Sie seien eine dieser Frauen, die gleiche Rechte für beide Geschlechter fordern?»
    «Es ist doch nicht einzusehen, weshalb uns von vornherein manche Berufe verwehrt bleiben. Warum, zum Beispiel, durfte ich
     nicht Soldat werden, wie mein Vater? Eine Zeitlang habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht.»
    «Oh, Ihr Vater ist einer der Helden, die im Ausland gerade gegen ihre eigenen Landsmänner antreten? Vive la nation? Vorwärts,
     Patrioten, mit euren nackten Fäusten gegen die royalistischen Truppen? Félicitations – herzlichen Glückwunsch!», rief Jomart
     aus.
    Marie-Provence schwieg. Schließlich gab es nichts, wobei sie sich ihren Vater weniger hätte vorstellen können, als unter der
     Trikolore kämpfend. Ein kleiner, lauernder Schmerz durchzuckte sie, doch sie verdrängte ihn sofort – dies war nicht der Augenblick,
     an ihre Eltern zu denken.
    Der Arzt stemmte die Hände in die Hüften. «Erläutern Sie mir mal die von Ihnen so gerühmten weiblichen Fähigkeiten. Haben
     Sie schon einmal in einer vergleichbaren Einrichtung gearbeitet? Mit einem Arzt, in einem Krankenhaus? Oder bringen Sie sonstige
     Erfahrungen mit, die Ihnen bei dieser Arbeit behilflich sein könnten?»
    Marie-Provence suchte verzweifelt nach einer schlagfertigen Antwort, doch ihr wollte partout nichts einfallen. Vielleicht
     lag es an dem üblen Geruch, der im Flur waberte und ihre Sinne überbeanspruchte. Offensichtlich standen sie vor dem Zimmer,
     in dem die Schmutzwäsche aufbewahrt wurde.
    Der Arzt fragte weiter: «Haben Sie eigene Kinder?»
    Marie-Provence schüttelte den Kopf. «Noch nicht.»
    |25| «Geschwister, eine große Familie?»
    «Ich bin das einzige Kind meiner Eltern», antwortete sie. «Aber ich habe eine alte Tante und einen Onkel, um die ich mich
     kümmere.»
    Docteur Jomart verzog das Gesicht. «Wie nett.»
    Marie-Provence wollte etwas erwidern, doch der Arzt unterbrach sie mit einer Geste. «Hören Sie, es tut mir leid. Ich sagte
     ja, ich habe mich bereits entschieden. Es war nicht recht von Madame
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