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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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Brecheisen den Schrank zu öffnen. Nur ein Riegel brach, und das Schloss fiel auf den Boden. Die anderen hielten den Schlägen stand. Adolph Weyers brachte das hölzerne Kruzifix. »Wir können es als Rammbaum benutzen.« Einige lachten. Die Tür gab nicht nach. Wütend befahl Heckmann: »Nehmt wenigstens die Tücher. Wir müssen zurück!« Mathias bückte sich und steckte das abgesplitterte Vorhängeschloss in die Tasche.
    Er führte die Bande auf demselben Pfad durch das Moor zurück. Der herbstliche Frühnebel machte den Marsch schwierig. Erst am Vormittag erreichten die Männer wieder die Herberge der Suff-Anne.
    Mathias bezahlte sofort den Schnaps, den er der knochigen Wirtin noch schuldig war.
    Am Nachmittag untersuchte er das Vorhängeschloss. Er löste mit einem Meißel die Rückplatte ab und studierte den Mechanismus. Mit einem gebogenen Nagel versuchte er, durch das Schlüsselloch die Feder zu bewegen. Nach zwei Stunden klemmte er das abgesprengte Metallblatt wieder in die Rückseite. Er konnte jetzt mit dem Nagel das Schloss öffnen und wieder verschließen.
    Karl Heckmann fragte ihn, ob er ganz bei der Bande bleiben wolle. Mathias nickte nur.
    Adolph Weyers forderte ihn am Abend auf, mit ihm zu trinken und zu würfeln. Mathias verlor drei Golddukaten in dieser Nacht. Weyers triumphierte und verspottete ihn. Heute machte ihm das nichts aus. Mathias grinste und bezahlte.
    Karl Heckmann unternahm noch drei Raubzüge, die aber nur so viel einbrachten, um die Unterkunft bei der Suff-Anne zu bezahlen. In den Tagen zwischen den Überfällen lungerten die Männer in der Schankstube herum, tranken und spielten. Mathias nahm immer wieder das Vorhängeschloss aus seinem Bündel und übte mit dem gebogenen Nagel.
    Es wurde kalt. Die langen Nachtmärsche zu den einsam gelegenen Höfen wurden mühseliger. Die Bande beschloss, für den Winter nach Köln zu gehen. Sie hoffte, in der großen Stadt mehr erbeuten zu können. Zwei Wochen dauerte es, bis alle einundzwanzig Männer in den Bordellen um St.   Kolumba eingetroffen waren.
    Im Büro des Kaufmanns Pelzer in der Augustinerstraße raubten sie die gesamte Barschaft und verwüsteten die Einrichtung. Bei Boisserée stahlen sie neben Geld auch wertvollen Schmuck. Wieder verschwanden sie unbemerkt in den engen Gassen um den Alter Markt.
    Den Tipp für den Ladendiebstahl in der Bechergasse bekamen sie von der Düwels Trück. Die ›Teufels Gertrud‹ führte das größte Bordell in Köln. Das Haus in der Schwalbengasse wurde deshalb gerne besucht, weil es sauber war. Die Düwels Trück sorgte dafür, dass die Mädchen sich wuschen. Auch für Gäste hatte sie Waschzuber. Deshalb war sie teuer. Die Kundschaft bestand zu einem großen Teil aus angesehenen Kaufleuten, französischen Offizieren und zahlungskräftigen Banditen. Ihre fünf Mädchen horchten wohlhabende Gäste über deren Geschäfte und Vermögen aus. Die Wirtin unterrichtete die Räuberoffiziere und wurde dafür angemessen an der Beute beteiligt.
    Solche Informationen wurden nur an die Offiziere der Räuber gegeben. Die Banden waren fast militärisch organisiert und setzten sich zum großen Teil aus desertierten oder entlassenen Soldaten zusammen. Sie konnten oder wollten nicht mehr in ihre früheren Berufe, wie Rotgerber, Abdecker, Kleinbauern oder Tagelöhner, zurückkehren.
    Die, die sich am besten durchsetzen konnten, wurden zu Anführern, zu Räuberoffizieren. Vor jedem Raubzug wählten sie untereinander den Anführer. Er bekam das Brecheisen. Seine Aufgabe war es, zu planen und bei der Durchführung den gefährlichsten Teil zu übernehmen. Die übrigen Offiziere standen Wache.

Dezember 1795
    Das Wirtshaus lag in der Nähe von Groß-St.-Martin. Overtüsch blickte nur kurz zu der massigen Kirche auf, dann bog er in die Mühlengasse ein. Es war eng und düster. Die überragenden Stockwerke der hohen Häuser nahmen fast alles Licht. Ein zweirädriger Pferdekarren holperte ihm entgegen, er füllte die ganze Gassenbreite. Overtüsch musste sich eng an eine der verkommenen, abgeblätterten Hauswände pressen. Der Wagen rumpelte über die hohen, ungleichen Pflastersteine, der Gaul nickte mit dem Kopf, während seine Hufe vorsichtig immer wieder den nächsten Stein suchten. Der Karren rollte langsam vorbei. Augustin Overtüsch ging weiter.
    Er kam als Erster zum Wirtshaus und trat in den schmalen Schankraum. Der Wirt lief ihm entgegen und schloss schnell wieder die niedrige Holztür. Er schob eine dicke Rolle aus
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