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Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Tilman Röhrig
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Prassen aufzuhören und endlich eine Arbeit zu suchen. Doch Mathias zwang sie, betteln zu gehen, während er selbst in der Herberge blieb. Wenn Sabine ihm Vorwürfe machte, schlug er sie.
    Nach einer weiteren Woche forderte der Wirt das Geld für die letzten drei Nächte und außerdem einen Vorschuss. Sabine weigerte sich, noch länger betteln zu gehen. Heimlich trennte Mathias aus seinem Mantel einen Golddukaten, bezahlte die Rechnung und bestellte ein großes Essen. Sabine fragte, woher das Goldstück stamme, aber er gab keine Antwort.
    Am nächsten Morgen forderte Mathias sie auf mitzukommen. Sabine hoffte, er habe Arbeit gefunden, und folgte ihm. Sie wanderten an die Maas. Mathias zog einen Kahn aus dem Schilf, den er dort am Vortag versteckt hatte. Sabine stand am Ufer und begriff nichts. Mathias ruderte in die träge Strömung und rief ihr zu, sie sei ihm lästig geworden.
    Er überquerte die Maas und blickte sich nicht mehr nach Sabine um. In Arcen tauschte er auf dem Marktplatz bei einem Trödler seine Uniform gegen eine dunkle Hose und eine feste, blaue Wolljacke ein. Die Stiefel und den Mantel, in dem seine restlichen Dukaten eingenäht waren, behielt er. Der weite Mantel verbarg seinen Säbel, den er nach hinten geschnallt trug. Er ließ sich die wenigen Haare auf seinem Kopf ganz kurz schneiden und kaufte sich eine dicke Mütze, die er tief über die Ohren zog.
    Auf dem Marktplatz war ihm ein alter Scherenschleifer aufgefallen, der die Vorbeigehenden mit prüfenden Blicken beobachtete. Mathias wusste von seinem Ziehonkel Franzis Gerards, dass die Scherenschleifer oft mit Räuberbanden zusammenarbeiteten. Sie schoben ihre Schleifräder in die Höfe der reichen Bauern und kundschafteten die Dicke der Türen und die Lage der Wohnstuben aus. Oder sie warteten auf den Marktplätzen, bis ein reicher Händler vorbeikam. Sie gingen ihm nach und spionierten seine Herberge aus, dann verrieten sie den Räubern den Aufenthalt und verdienten sich so einige Taler.
    Mathias ging zu dem alten Mann und lud ihn zu Branntwein und Suppe ein. Sie setzten sich in eine dunkle Wirtsstube.

November 1795
    Nach dem Essen fragte Mathias: »Bei wem kann man sich verstecken?«
    Der Scherenschleifer lachte ihn aus. »Umsonst?«
    Mathias riss einen Dukaten aus der Tasche und knallte ihn auf den Tisch. Die Hand des Alten zuckte nach vorn und griff nach dem Geldstück. Da hieb Mathias ihm die Faust auf den Handrücken. »Den bekommst du erst, wenn du geantwortet hast.« Der alte Mann rieb sich die Hand. »Bei Straelen gibt es eine Herberge, die nur Eingeweihte kennen. Du musst in den Hof gehen und an den Fensterladen klopfen. Das Haus gehört der Suff-Anne.«
    Mathias fragte nach dem Weg. »Wenn du durch die Sümpfe findest, kommst du heute noch hin.«
    Mathias überlegte, dann sagte er: »Bring mich zu dem Haus. Du bekommst zwei Dukaten.«
    Mathias misstraute seinem Führer. Er sah sich immer wieder um und prägte sich den schwer erkennbaren Pfad zwischen Gräben und Moorlöchern genau ein. Am späten Nachmittag erreichten sie das einsam gelegene Gehöft.
    Mathias blieb stehen. »Es sieht völlig verlassen aus.«
    »Die Suff-Anne ist immer zu Hause«. Der Scherenschleifer streckte ihm die offene Hand hin und erhielt zwei Golddukaten. Ohne Gruß eilte der alte Mann davon.
    Zwei niedrige Gebäude bildeten einen kleinen Hof. Sie waren aus Backsteinen gebaut. Dem größeren sah man kaum noch an, dass es früher weiß geschlämmt war. Alle Fensterläden waren verschlossen. Das kleinere Haus schien hinter einem Tor Platz für Geräte zu haben. Es sah verfallen und unbenutzt aus. Viele der kleinen, verschmutzten Stallfenster waren zerbrochen.
    Mathias ging zum Wohnhaus und klopfte mit einem Stein an einen Fensterladen. Lange geschah nichts. Endlich wurde der obere Teil der Tür aufgestoßen. Eine hagere Frau sah Mathias an. Sie hatte die Hände auf den unteren Teil der Tür gestützt. Mathias sah die vielen Ringe an ihren Fingern. »Wer bist du?«, fragte sie heiser.
    »Ich heiße Mathias Weber. Ich bin der Ziehsohn von Franzis Gerards.«
    Die Suff-Anne hustete: »Wo ist er jetzt?«
    Mathias erzählte, dass er ihn zuletzt bei dem Rossschlächter Karl Hasselt getroffen hatte. »Sind seine Töchter auch da?« Mathias schüttelte den Kopf, er hatte die vier Töchter seines Ziehonkels seit Jahren nicht mehr gesehen. Die Wirtin musterte ihn von oben bis unten,
    »Und was kannst du?«
    »Viel! Ich bin besser als alle!«
    Die Suff-Anne lachte laut
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