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Die Ballade der Lila K

Die Ballade der Lila K

Titel: Die Ballade der Lila K
Autoren: Blandine Le Callet
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Verbrennungen kann man ihr auch nicht zur Last legen. Die Mischbatterie war defekt, wissen Sie noch? Das stand im Übergabeprotokoll.
    Schwer zu sagen, wie lange ich im Wandschrank gehaust habe. Mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre. Das weiß niemand so genau. Die Ärzte haben sich nie darüber einigen können.
    Bald konnte ich Tag und Nacht, Morgen und Abend nicht mehr unterscheiden. Ich trieb ohne Zeitgefühl dahin, schläfrig, fast bewusstlos. Auf Geräusche achtete ich nicht mehr, das war mir zu anstrengend. Ich hatte fast vergessen, dass es jenseits der Schranktür noch eine Welt gab. Ich fühlte mich wohl, hatte weder Wünsche noch Bedürfnisse. Ich überließ mich dem großen, warmen Bauch, der mich umschloss.
    Und dann bin ich eines Tages oder besser eines Nachts wieder zu mir gekommen. Ich kann gar nicht sagen, wie. Vielleicht durch den Überlebensinstinkt, die Auflehnung des Körpers, der nicht untergehen will. Vielleicht auch nur, weil dieser eine Mann so viel lauter brüllte als die anderen. Das hat mich plötzlich aufschrecken lassen. Rhythmische, brutale Schläge, meine wimmernde Mutter und dieser Typ, der sagte: Hier, nimm das! Und das, du dreckige Nutte! Ich fing an zu zittern. Ein Mann tat meiner Mutter gerade weh: Nimm das, und das! Sie wehrte sich nicht. Im stockdunklen Raum klangen ihre Klagen wie ein langgezogenes Lamento.
    Dann schrie der Mann: Dreh dich um! Sie reagierte nicht schnell genug. Dreh dich um, hab ich gesagt! Ich habe die schallende Ohrfeige gehört, das Quietschen des Sprungfederrahmens. So ist’s gut! Genau so.
    Er schlug wieder zu, heftiger und in kürzeren Abständen, und meine Mutter begann erneut zu wimmern, bestimmt war sie verletzt, und er ließ nicht von ihr ab. Das gefällt dir, du dreckige Nutte! Sie leistete keinen Widerstand, sondern wimmerte nur, unaufhörlich, immer lauter. So eindringlich, dass es beängstigend war. Ich habe es nicht mehr ertragen.
    Ich habe mich zur Kante des Paneels vorgetastet. Dann habe ich mit aller Kraft daran gerüttelt, um es zu öffnen. Es war verrammelt, wie immer. Trotzdem ist es mir gelungen, es ein paar Millimeter aufzuschieben. Ich kratzte schon am Gips, aber ich habe nicht losgelassen. Und es wieder versucht. Meine Mutter stöhnte und schrie weiterhin, während der brutale Kerl unablässig auf sie eindrosch und Drohungen ausstieß.
    Nach und nach hatte ich die Öffnung verbreitern können, streckte erst die Hand, dann den Arm und schließlich die Schulter hindurch. Ein letzter Stoß noch, und das Paneel gab nach.
    Ich wollte zu ihr, wollte ihr beistehen. Nur wenige Meter trennten uns, ein paar Schritte, nichts weiter, aber selbst dafür war ich zu schwach. Mühsam schleppte ich mich aus dem Wandschrank und brach dann gleich auf dem Teppich zusammen.
    Im Dunkeln rief ich: Ama! Ama! Ich schaffte es nicht einmal mehr, Mama zu sagen. Ama! Ich hatte den ganzen Mund voller Blut, weil der Schorf auf meinen Lippen geplatzt war. Aus Leibeskräften schrie ich: Ama! Was heißt hier Kräfte, ich brachte gerade mal ein schwaches Quieken zustande, ein leises Miauen, das niemanden hinter dem Ofen hervorgelockt hätte.
    Als plötzlich das Licht anging, habe ich mich zu einer Kugel zusammengerollt, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Oh, Scheiße! Das kann doch nicht wahr sein! Die Stimme des Mannes, zitternd vor Panik. Das kann nicht sein! Ich glaub’s einfach nicht! Er stand ganz dicht neben mir. Ich habe mich noch stärker eingerollt, wimmernd und starr vor Angst. Das ist doch nicht möglich! Verunsichert fragte meine Mutter:
    »Was hast du denn? Komm zurück!«
    »Schnauze! Du bist ja total krank. Halt bloß die Schnauze!«
    Aber meine Mutter ließ nicht locker:
    »Komm zurück, wir sind noch nicht fertig.«
    »Schnauze!«
    Ich hörte ihn seine Sachen einsammeln. Dabei wiederholte er ständig: Das kann nicht sein! Ich glaub’s einfach nicht! Er klang vollkommen verschreckt. Ich weiß nicht, ob er sich überhaupt noch die Zeit genommen hat, sich anzuziehen. Die Wohnungstür wurde zugeknallt, und meine Mutter brüllte: Arschloch! Du hast mich nicht mal bezahlt!
    Mühsam hievte sie sich vom Bett hoch und kam auf mich zu. Ich blieb reglos liegen, schlotternd vor Angst. Mir war bewusst, dass ich eine Dummheit begangen hatte. Was tust du mir da an, meine Kleine? Sie klang nicht wütend, eher verblüfft. Was tust du mir da an? Sie schien verstört zu sein, verloren in ihren Gedanken. Und ich weinte wegen des Lichts.
    Dann riss sie die
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