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Die Aussortierten (German Edition)

Die Aussortierten (German Edition)

Titel: Die Aussortierten (German Edition)
Autoren: Udo Brandes
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widersprechen, sondern um informiert zu sein: Warum gibt du das nicht an die Jungs vom Staatsschutz?“
     
    „Weil ich mir den Arsch dafür aufgerissen habe, dass die sich endlich mal gründlich um die Rechtsradikalen kümmern. Und das tun die jetzt. Außerdem, wenn die das in die Finger kriegen, machen die daraus eine Staatsaffäre. Und das muss ja nicht sein. Außerdem könnte man diese Sache rein juristisch gesehen ja auch als Hausfriedensbruch mit Körperverletzung betrachten.“
     
    „Aha“.
     
    Tauber schaute an die Decke und kratzte sich am Hals.
     
    „Weißt du, für mich war Hartz-4 bislang Theorie, die man aus den Medien kennt. Aber ich habe jetzt miterlebt, wie ein Nachbar von mir, ein rechtschaffener und fleißiger Mann, wie er im Buche steht, seinen Job verloren hat. Der Betrieb, in dem er gearbeitet hat, ist pleite gegangen. Und er kriegt mit seinen 50 Jahren nichts mehr. Sein Arbeitslosengeld 1 ist abgelaufen. Und jetzt ruiniert ihn die zuständige Behörde, ARGE, oder wie der Laden heißt. Ich habe ihm geholfen beim Ausfüllen der Formulare, ich habe ihn auf das Amt begleitet und zuguterletzt einen Anwalt besorgt. Aber das hat alles nichts genützt. Die haben den so fertig gemacht, dass er einen Herzinfarkt bekommen hat und wahrscheinlich sterben wird. Mir ist das sehr nahe gegangen. Und es hat mich sehr wütend gemacht auf Vater Staat.“
     
    Tauber rieb sich die Augen, und de Wall, der durch den veränderten Tonfall von Taubers Stimme schon höchst wachsam geworden war, bemerkte jetzt, dass Tauber mit den Tränen kämpfen musste. De Wall wurde wieder bewusst, dass der eloquente, gerissene und geschmeidige Tauber, der es so fantastisch verstand, sich in Hierarchien zu bewegen und diese zu seinem Vorteil zu nutzen, aus allerkleinsten Verhältnissen kam und aus eigener Erfahrung wusste, wie es ist, arm und ohnmächtig zu sein, sich demütigen und erniedrigen lassen zu müssen. Und der bei aller Gerissenheit und Abgebrühtheit sehr sensibel und feinfühlig war.
     
    „Ich finde, es tut not, dass in unserer Gesellschaft endlich etwas getan wird gegen diese Sauerei namens Hartz-4. Und deshalb kann der Privatmann Hans-Jürgen Tauber diesen jungen Leuten ihre Aktion nicht übel nehmen.“
     
    „Und was will der Kriminaldirektor?“, fragte de Wall.
     
    „Einen hochprofessionellen Ermittler mit viel Fingerspitzengefühl.“
     
    De Wall und Tauber schauten sich in die Augen. De Wall begriff, dass Tauber nicht wollte, dass die Leute gefasst wurden. Aber wollte er dies wirklich nur, um sein Gerechtigkeitsgefühl zu befriedigen? Weil er hatte miterleben müssen, wie das Lebens seines Nachbars durch den Staat gnadenlos zerstört worden war? Und weil er stinkwütend war auf diesen ungerechten Staat und sich nicht zum Helferorgan für dessen asoziale Politik machen lassen wollte? So ganz konnte de Wall nicht daran glauben, dass es Tauber nur darum ging. Aber er wollte ihm trotzdem gerne diesen Gefallen tun. Aus Loyalität und Sympathie, und weil er selber ebenfalls mit den linken Demonstranten sympathisierte. Tauber wusste, dass de Walls Schweigen und sein Blick bedeuteten, dass er ihn genau verstanden hatte und er sich auf de Wall verlassen konnte. Er goss ihm Tee ein und reichte ihm die Edelpralinen.
     
    „Dann können wir ja jetzt zum gemütlichen Teil übergehen“, sagte Tauber sichtlich entspannter. „Was hältst du von meinem neuen Anzug?“
     
    „Sehr elegant. Du hast wirklich Geschmack. Wo kriegt man so einen guten Zwirn?“
     
    Auf diese Frage, das wusste de Wall, hatte Tauber förmlich gewartet. Tauber hatte einen Faible für die schönen Dinge des Lebens, ob dies nun ein vollendeter Anzug war, edle Pralinen oder schöne Frauen. Obwohl er selbst aus allerkleinsten Verhältnissen stammte, wirkte er ausgesprochen großbürgerlich, so als sei er ein direkter Nachfahre von Thomas Mann. Er verkehrte gerne in Intellektuellen- und Künstlerkreisen und war verheiratet mit einer deutlich jüngeren Fotografin, die gerade im Begriff war, sich von der Notwendigkeit zu emanzipieren, für Werbeagenturen zu arbeiten und sich als künstlerische Fotografin einen Namen zu machen. Tauber wirkte durch seinen ganzen Lebensstil wie ein Fremdkörper im Polizeiapparat, der überwiegend konservativ und kleinbürgerlich geprägt war. Aber Tauber war eben ein politisches Genie, der sich nahezu überall wie ein Fisch im Wasser bewegen konnte. Womit er de Wall einiges voraus hatte.
     
    Tauber beugte sich leicht
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