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Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Titel: Die Auserwählte: Roman (German Edition)
Autoren: Jennifer Bosworth
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und brodelte. Das blutrote Licht hatte meine Handschuhe versengt. Aus meinen Händen wuchsen neue Lichtadern, die aussahen wie weiß glühender Draht.
    »Ich habe keinen Plan«, sagte ich. Ich richtete meine gesamte Willenskraft auf meine Handflächen, und dann … ließ ich los.
    All die Jahre, in denen ich mich zurückgehalten hatte, in denen ich um Kontrolle gekämpft hatte, in denen ich mich bemüht hatte, das Feuer in mir zu halten – ich ließ sie los. Alles, was ich nicht dem Gewitter gegeben hatte, floss in Prophet.
    Aus meinen Händen schossen rote Lichtadern, die so dick wie Seile waren, und drangen in Prophets Körper ein. Er ließ Mom zu Boden gleiten, aber erst nachdem ein paar verirrte Lichtadern auch in sie eindrangen und sie zucken ließen. Ihr Rücken krümmte sich kurzzeitig, als sich die Lichtadern um sie wickelten und in ihr versanken.
    Sie glitt aus Prophets Armen und landete in der immer größer werdenden Pfütze ihres Bluts.
    Dann gehörte der Blitz Prophet ganz allein.
    Prophets Mund schrie, ohne einen Laut von sich zu geben, doch seine Jünger, Tausende und Abertausende Jünger, schrien für ihn. Das Zelt war mit ihren ohrenbetäubenden Klageschreien gefüllt. Prophets weißes Haar verbrannte zu Asche und schneite zu Boden. Sein weißer Anzug explodierte in schwarzen Stofffetzen, und seine versengte Haut verwandelte sich in Kohle, dann brach sie auf, und Blut und Muskeln kamen zum Vorschein.
    Ich ließ los und ließ los und ließ los, bis nicht mehr zu erkennen war, dass es sich bei Prophet jemals um einen Menschen gehandelt hatte. Ich entleerte mein Feuer, bis nichts mehr davon übrig war.
    Dann war der Blitz verschwunden, und trotz der Flammen, die die Zeltwände zerfraßen, wirkte alles dunkel.
    Schließlich endete die kollektive Lähmung der Versammelten. Jünger rannten um ihr Leben. Ich sah, wie Iris umgerissen wurde. Ivan versuchte, ihr wieder aufzuhelfen, dann stürzte er ebenfalls, und keiner von beiden kam wieder auf die Beine. Rachel kämpfte mit ihrer Clique von der Skyline-Highschool darum, Leute dazu zu bewegen, dazubleiben und zu kämpfen, doch erst ließ ihre Clique sie im Stich und dann wurde sie von Jüngern weggeschubst. Prophets Einfluss auf sie war gebrochen, und jetzt herrschte nur noch Chaos und Durcheinander.
    Rachel schien sich schließlich darüber bewusst zu werden, dass sie nicht mehr unter Prophets Einfluss stand, und hastete ebenfalls zum Ausgang.
    Die Suchenden, die sich inzwischen nicht mehr an den Händen hielten, kämpften sich zur Plattform vor.
    Ich nahm all das zur Kenntnis, und trotzdem war es mir egal.
    Ich fiel neben Mom auf die Knie und zog sie an mich. Sie war federleicht, doch ihr Blut machte das Hochzeitskleid schwer.
    Ich hätte weinen sollen, tat es aber nicht. Ich fühlte mich hohl, als hätte mich irgendein wesentlicher Teil von mir – meine Seele vielleicht – zusammen mit dem Blitz verlassen. Mir war vage bewusst, dass meine entblößten Hände jetzt tatsächlich nackt waren: Die Narben waren verschwunden. Ich fragte mich, ob sie von meinem gesamten Körper verschwunden waren, nachdem ich den Blitz freigelassen hatte.
    Ich hielt Mom in den Armen und blickte erst wieder auf, als Parker neben mir stand. Dann stieß ich einen bebenden Seufzer aus. Einen Seufzer der Kapitulation. Wir mussten hier raus. Der Rauch senkte sich zu uns herab, und ich spürte die Hitze der brennenden Zeltwände. Es wurde Zeit, Mom ins Freie zu tragen. Zumindest würde Parker mir dabei helfen. Ich dachte nicht, dass ich es ohne ihn schaffen würde.
    Prophets Leichnam konnte hierbleiben. Seine Jünger und seine Apostel hatten ihn zurückgelassen. Er würde allein zurückbleiben, während sich alles Weiße genauso schwarz verfärbte wie seine verkohlten Überreste.
    Ich sah Parker an und erwartete, dass sich meine Gefühle in seinem Gesicht widerspiegeln würden. Doch er … lächelte? Nein, es konnte nicht sein, dass er lächelte. Es sei denn, er hatte den Verstand verloren oder meine mit Rauch gefüllten Augen spielten mir einen Streich oder …
    Oder …
    Ich folgte dem Blick meines Bruders in Moms Augen.
    Sie waren geöffnet. Und sie waren lebendig. Nicht lebendig im Sinn von »fast tot«, sondern richtig lebendig.
    Mom hob die Hand und berührte ihren Hals, wo Prophet sie aufgeschlitzt hatte. Doch aus der Wunde trat kein Blut mehr aus. Sie hatte eine neue Narbe oder eine Verletzung, die im Lauf der Zeit zu einer Narbe werden würde. Die Wunde war versengt, eine
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