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Die Auserwaehlte

Die Auserwaehlte

Titel: Die Auserwaehlte
Autoren: Raymond E. Feist
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Geräusch mischte sich in das ersterbende Zittern des Klangs – eine Störung, die ganz und gar nicht hierher gehörte. Sandalen schlurften über den Steinboden des Vorraumes, begleitet vom gedämpften Klirren von Waffen und Rüstungen. »Haltet ein, Krieger! Ihr dürft jetzt nicht in den Inneren Tempel! Es ist verboten!« forderte der wachhabende Priester jenseits des Vorhangs in energischem Flüsterton.
    Mara erstarrte. Der fröstelnde Schauer einer Vorahnung durchströmte sie. Unter dem Schutz der aufgetürmten Kopfbedeckung hindurch sah sie, wie die Priester und Priesterinnen auf dem Podest sich beunruhigt erhoben. Sie wandten sich dem Eindringling zu, und der Gong verfehlte seinen Takt und verstummte.
    Der Hohe Vater bewegte sich entschlossen auf den Vorhang zu, die Stirn argwöhnisch gerunzelt. Mara kniff ihre Augen fest zusammen. Wenn sie nur die Welt da draußen ebenso einfach in Dunkelheit tauchen könnte, dann würde niemand sie finden. Doch das Geräusch der Schritte brach ab, und statt dessen erklang die Stimme des Hohen Vaters. »Aus welchem Grund begeht Ihr einen solchen Frevel, Krieger! Ihr verletzt einen heiligen Ritus.«
    Jetzt sprach eine andere Stimme. »Wir suchen die Lady der Acoma!«
    Die Lady der Acoma. Die Worte schnitten durch Maras Seele, als würde ihr ein kaltes Messer mitten in den Bauch gestoßen. Dieser eine Satz würde ihr Leben für immer verändern. Ihre Gedanken begehrten auf, leugneten trotzig, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Niemals würde sie ihre Ahnen durch eine öffentliche Zurschaustellung ihrer Trauer beschämen. Mühsam brachte sie ihre Stimme unter Kontrolle, während sie langsam aufstand. »Ich bin hier, Keyoke.«
    Als wären sie eins, starrten die Priester und Priesterinnen auf den Hohen Vater, der jetzt vor Mara trat. Die gestickten Symbole auf seiner Amtsrobe blitzten auf, als er eine Priestenn zu sich winkte. Dann blickte er in Maras Augen und sah den Schmerz, den sie verborgen hielt. »Tochter, es ist offensichtlich, daß Unsere Herrin der Weisheit einen anderen Weg für Euch bestimmt hat. Geht mit ihrer Liebe und Barmherzigkeit, Lady der Acoma.« Er verbeugte sich leicht.
    Mara verneigte sich ebenfalls, dann reichte sie der Priesterin die Kopfbedeckung. Sie bemerkte Uras neidischen Seufzer nicht, als sie sich schließlich dem Überbringer jener Botschaft zuwandte, die ihr Leben verändert hatte.
    Gleich auf der anderen Seite des Vorhangs stand Keyoke, Kommandeur der Acoma, und betrachtete seine Herrin mit müden Augen. Er war ein von vielen Schlachten gezeichneter alter Krieger, aufrecht und stolz trotz der vierzig Jahre, die er bereits in treuem Dienst stand. Er wartete, bereit, an die Seite des Mädchens zu eilen, ihr seinen stützenden Arm anzubieten, sie möglicherweise gar vor den Augen der Öffentlichkeit zu schützen, sollte der Druck zu groß für sie sein.
    Armer, stets treuer Keyoke, dachte Mara. Es war auch für ihn nicht einfach gewesen. Sie würde ihn nicht dadurch enttäuschen, daß sie ihre Familie beschämte. Im Angesicht der Tragödie bewahrte sie die Haltung und Würde, die von der Herrin eines großen Hauses erwartet wurde.
    Keyoke verbeugte sich, als seine Herrin sich näherte. Groß und schweigsam stand Papewaio hinter ihm, sein Gesicht wie immer eine unlesbare Maske. Als stärkster Krieger im Gefolge der Acoma diente er Keyoke nicht nur als Kamerad, sondern auch als persönlicher Diener. Er verbeugte sich ebenfalls und hielt den Vorhang auf, als Mara an ihnen vorbeischritt.
    Mara hörte, wie sie rechts und links von ihr folgten, Papewaio einen Schritt zurück, bis ins letzte Detail durch und durch kokett. Wortlos führte sie die beiden fort vom inneren Tempel, unter das Dach des Gartenhofes, der den inneren vom äußeren Tempel trennte. Sie betraten den äußeren Tempel, passierten die riesigen Sandsteinsäulcn, auf denen das Dach ruhte. Sie schritten an der langen Halle entlang, vorbei an den wunderbaren Fresken, die von den Taten der Göttin Lashima erzählten. In dem verzweifelten Bemühen, den Schmerz, der sie zu überwältigen drohte, zu unterdrücken, rief Mara die Geschichte jedes einzelnen Bildes in Erinnerung: wie die Göttin den Roten Gott Turakamu wegen des Lebens eines Kindes überlistet hatte; wie sie sich dem Zorn des Kaisers Inchonlonganbula entgegengestellt und die Stadt Migran vor der Vernichtung bewahrt hatte; wie sie dem ersten Scholar das Geheimnis des Schreibens enthüllt hatte. Mara schloß die Augen, als sie an
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