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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman
Autoren: Heyne
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zum Ende - die Servietten und auch das Puppenhaus. Peters Fluchtmittel war die ganze Zeit direkt vor seiner Nase gewesen, und es wäre ihm um ein Haar entgangen. Aber … er sah auch noch etwas anderes. Kleine Fädchen, die ausfransten, wo die Schnur nachgab, etwa drei Meter tiefer an dem straff gespannten Seil.
    Flagg hätte die Stange drehen können, auf der er die Hand liegen hatte, so dass Peter abstürzte und sein Anker hinterher, der ihm vielleicht unten auf dem Pflaster noch zusätzlich den Schädel eingeschlagen hätte. Er hätte die Streitaxt schwingen und das dünne Seil durchtrennen können.
    Aber er zog es vor, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, und einen Augenblick, nachdem er die Gruppe unten gerufen hatte, nahm das Schicksal seinen Lauf.
    Die Bruchbelastung des Seils war erreicht. Es riss mit einem Laut ähnlich einer Lautensaite, die zu stark gespannt worden ist.
    »Leb wohl, Vögelchen!«, rief Flagg glücklich und beugte sich weit hinaus, um Peters Sturz zu verfolgen. Er lachte. »Leb...«
    Dann verstummte er und riss die Augen auf wie in dem Augenblick, als er in den Kristall gesehen und die
winzige Gestalt erblickt hatte, die sich an der Seite der Nadel abseilte. Er öffnete den Mund und stieß einen Wutschrei aus … Dieser grässliche Schrei weckte mehr Menschen in Delain als der Einsturz des Turms.

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    Peter hörte das reißende Geräusch und spürte das Seil nachgeben.
    Kalter Wind wehte ihm ins Gesicht. Er versuchte, sich für den Aufprall zu wappnen, der in weniger als einer Sekunde erfolgen musste. Wenn er nicht auf der Stelle starb, würden die Schmerzen das Schlimmste sein.
    Und dann schlug Peter auf der dicken Schicht königlicher Servietten auf, die Frisky mit einem gestohlenen Wagen aus dem Schloss heraus und über den Platz gezogen hatte - die königlichen Servietten, welche Ben, Dennis und Naomi so emsig aufgeschichtet hatten. Die Größe des Stapels - der wie gebleichtes, aufgeschichtetes Heu aussah -, wurde niemals genau bekannt, weil Ben, Dennis und Naomi später ganz unterschiedliche Angaben machten. Vielleicht ist Peters Eindruck der beste, denn er war derjenige, der genau auf die Mitte des Stapels fiel - er glaubte, dieser chaotische, wundervolle, lebensrettende Stapel Servietten müsse mindestens sechs Meter hoch gewesen sein, und nach allem, was ich weiß, könnte er sogar recht gehabt haben.

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    Er fiel, wie gesagt, genau in die Mitte und erzeugte dort einen Krater. Dann fiel er auf den Rücken und blieb ganz still liegen. Weit oben konnte Ben Flagg wütend aufheulen hören, und er dachte: Du musst das nicht tun, für dich wird alles gut, Hofzauberer. Er ist trotzdem gestorben, trotz unserer Bemühungen.
    Dann richtete Peter sich auf. Er sah zwar benommen aus, aber sehr lebendig. Trotz Flagg, trotz der Tatsache, dass jeden Augenblick Gardisten der Wache auf sie zugestürmt kommen konnten, stieß Ben Staad einen Freudenschrei aus. Es war ein Laut reinsten Triumphes. Er packte Naomi und küsste sie.
    »Hurra!«, rief Dennis und grinste fassungslos. » Ein Hoch dem König!«
    Dann kreischte Flagg hoch über ihnen wieder, das Kreischen eines um seine Beute betrogenen Teufelsvogels. Das Jubeln, Küssen und Hurrarufen hörte sofort auf.
    »Das werdet ihr mit euren Köpfen bezahlen!«, schrie Flagg. Er war rasend vor Wut. »Ihr werdet mit den Köpfen bezahlen! Alle miteinander! Wachen! Zur Nadel! Zur Nadel! Der Königsmörder ist entflohen! Zur Nadel! Tötet den Mörderprinzen! Tötet seine Bande! Tötet sie alle!«
    Und im Schloss, das den Platz der Nadel von allen vier Seiten umgab, wurden Lichter entzündet … von zwei
Seiten ertönte das Laufen von Füßen und das Klirren von Metall, als Schwerter gezückt wurden.
    »Tötet den Prinzen!«, kreischte Flagg teuflisch von der Nadel. »Tötet seine Bande! TÖTET SIE ALLE!«
    Peter versuchte aufzustehen, glitt aus und kippte wieder um. Ein Teil seines Verstandes brüllte drängend, dass er aufstehen musste, dass sie fliehen mussten, sonst würden sie getötet werden … aber ein anderer Teil beharrte darauf, dass er bereits tot oder ernsthaft verwundet war und dies alles nur ein Traum seines verlöschenden Verstandes. Er schien in einem Bett aus eben den Servietten gelandet zu sein, um die in den vergangenen fünf Jahren sein ganzes Denken gekreist war … und was konnte das anderes sein als ein Traum?
    Bens kräftige Hand packte seinen Oberarm, und er wusste, dass es kein Traum war, alles war Wirklichkeit.
    »Peter? Alles in
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