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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa
Autoren: Bernhard Jaumann
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Ivan Garzone und lud die anderen in seine Bar ein. Mit der Hilfe Matteo Vannonis stellte er sein privates Fernsehgerät in den Gastraum, und dann schalteten sie die Nachrichtensendung von Rai Due an.
    »… wurde bei Montesecco in der Provinz Pesaro-Urbino ein Sprengstoffanschlag auf den Dienstwagen des Oberstaatsanwalts Umberto Malavoglia verübt. Sowohl Malavoglia als auch sein Fahrer kamen dabei ums Leben. Über Urheber und Hintergründe des Attentats konnte die Polizei noch keine Angaben machen. Mit Umberto Malavoglia verliert Italien einen seiner profiliertesten Strafverfolger. Seit drei Jahren war er mit der Leitung der Staatsanwaltschaft Rom betraut. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde er durch seine Ermittlungen gegen die Roten Brigaden und im Italsat-Skandal, als er …«
    Der Sender hatte noch keine Bilder anzubieten, aber die Informationen passten durchaus zu dem, was man selbst beobachtet hatte. Der gewaltige Polizeiaufmarsch hatte Ähnliches vermuten lassen. Dennoch schien den Dorfbewohnern kaum glaubhaft, was sie hörten. Ein Attentat auf den bekanntesten Staatsanwalt Italiens? Das konnte nichtstimmen, und wenn doch, musste es irgendwo anders passiert sein.
    Sicher, die Nachrichtensprecherin hatte eindeutig von Montesecco gesprochen, aber selbst der so vertraute Ortsname klang seltsam fremd, wenn er aus den Lautsprechern des Fernsehers tönte. Mailand, Rom, New York, das waren die Städte, die man aus dem Telegiornale kannte. Dort spielte sich das Wichtige und Interessante ab, dort handelten die Reichen und Berühmten, dort wurden Entscheidungen getroffen und vielleicht auch Attentate verübt. Nicht in Montesecco.
    »Oberstaatsanwalt Malavoglia? Was wollte der denn bei uns?«, fragte Marta Garzone. Montesecco war keine Insel der Seligen. Auch hier hatte es schon Verbrechen gegeben, schreckliche sogar, doch das war lange her, und für keines davon wäre ein Oberstaatsanwalt aus Rom angereist.
    »Vielleicht war er privat unterwegs«, sagte Milena Angiolini.
    »Im Dienstwagen?«
    »Das machen die doch alle!«
    »Genau, er hatte eine Geliebte in Montesecco und …«
    »Milena vielleicht?«
    »… und deren gehörnter Ehemann ist ihm auf die Schliche gekommen und hat beschlossen, ihn …«
    »Das ist nicht witzig!«, protestierte Milena.
    »… wohl mit einer halben Tonne TNT, die ja jeder von uns Tag für Tag mit sich herumträgt, was?«
    Die Nachrichtensprecherin war bei den Börsennotierungen angelangt, und die Dorfbewohner plapperten wild durcheinander. Es war, als wollten sie so das Grauen bannen, das ihnen draußen auf der Landstraße in die Glieder gefahren war. Man ahnte, dass ein Moment der Stille unerträglich wäre. Wie von selbst würde in ihm wieder die Hilflosigkeit wuchern, die sie vor dem brennenden Wagen empfunden hatten. Und so begann Franco Marcantoni von neuem: »Ein Sprengstoffattentat! Ich habe sofort gewusst,dass das kein normaler Unfall war, so hoch wie die Flammen schlugen.«
    »Die Flammen schlugen hoch, weil das Benzin ausgelaufen ist«, sagte Ivan Garzone. »Das kann bei einem normalen Unfall genauso passieren.«
    »Ach ja? Weil du ja schon so viele Unfälle gesehen hast!« Franco griff nach einer Tüte Kartoffelchips im Ständer auf der Theke.
    »Nein, weil ich ein wenig technisches Verständnis habe und …«
    Franco brauste auf. »Ich habe schon Attentate miterlebt, als noch nicht mal deine Eltern mit Bauklötzchen gespielt haben. Im Herbst 44 zum Beispiel sprengten die von der Resistenza drüben bei Bellisio einen Lastwagen der Deutschen in die Luft. Die halbe Straße ging mit hoch, und der Wagen brannte, sage ich dir, dagegen war das heute gar nichts. Habe ich recht, Costanza?«
    »Das ist der Krieg!« Francos Schwester Costanza nickte heftig.
    »Trotzdem«, sagte Ivan, »was da brannte, war Benzin und …«
    »Still!«, rief Catia Vannoni. »Der Kommentar auf Rai Uno!«
    »… Die Liste der illustren Opfer reicht von Carabinieri-General Dalla Chiesa über Untersuchungsrichter Giovanni Falcone, der genauso von der Cosa Nostra in die Luft gejagt wurde wie kurz darauf Staatsanwalt Paolo Borsellino, bis hin zu Francesco Fortugno, der der ’Ndrangheta im Weg stand. Jetzt setzt sich die Blutspur fort. Es ist müßig zu fragen, ob wir uns im Krieg mit der organisierten Kriminalität befinden. In Frage steht allerdings, ob wir diesen Krieg noch gewinnen können, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine entschlossensten Strafverfolger zu schützen. In der Vergangenheit
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