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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa
Autoren: Bernhard Jaumann
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soll es bereits mehrfach Morddrohungen gegen Oberstaatsanwalt Malavoglia gegeben haben. Unverständlich ist, wieso er nicht in ein Personenschutzprogramm aufgenommen wurde. Ein diesbezüglicher Antrag sei wegen Personalmangels und einer zu geringen Gefährdungsstufe abgelehnt worden, verlautete aus dem näheren Umkreis des Ermordeten. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte dagegen, keine Kenntnis von einem solchen Antrag zu haben …«
    Es mochte ja sein, dass Malavoglia der Mafia zu sehr auf die Füße getreten war. Doch hätten sich die Killer dann nicht eine andere Gelegenheit ausgesucht? Alle genannten Attentate hatten in Süditalien stattgefunden, wo die Clans ihre Netzwerke, Waffenlager, Verstecke hatten, wo sie auf die Verschwiegenheit möglicher Zeugen zählen konnten und die Fluchtwege im Schlaf kannten. In Montesecco gab es keine Mafia. Wozu hätte sie auch herkommen sollen? Es existierte ja nicht einmal ein Lebensmittelladen, von dem man Schutzgeld hätte erpressen können. Und das bisschen, das Ivan Garzones Bar abwarf, würde kaum die Benzinkosten decken, die nötig wären, um es einzutreiben.
    Man musste sich nur einmal umsehen. Die Dorfbewohner saßen auf klapprigen Stühlen und fröstelten trotz des Heizstrahlers unter der Decke. Von den Tischplatten löste sich das Kunststofffurnier. An die ehemals gelb gestrichenen Wände waren Fotos von längst vergessenen Dorffesten und ein Kalender der Banca delle Marche genagelt. Der Fernseher stand auf einem Tisch links neben dem Kicker, bei dem zwei Spieler der blauen Mannschaft kopflos auf den nächsten Einsatz warteten. Dahinter blinkten die Lichter der beiden zehn Jahre alten Glücksspielautomaten an der Wand.
    Hier traf man sich auf eine Partie Settebello am Samstagabend oder auf einen Plausch, wenn es draußen auf der Piazzetta zu kalt war. Etwas Besseres gab es in Montesecco nicht, und auch wenn die Dorfbewohner manchmal darüber klagten, genügte ihnen Ivans Bar eigentlich vollkommen.
    »Die Mafia, ich glaube es einfach nicht!«, sagte Marta Garzone, als sie einen Topf mit Glühwein aus der kleinen Küche neben der Theke brachte. Mit einem Schöpflöffel füllte sie ein Dutzend Wassergläser und verteilte sie. Esskastanien hätten gut zum Vin brûlé gepasst, doch zu essen gab es bei den Garzones schon lange nichts mehr. Das sei eine Bar und kein Restaurant, pflegte Ivan auf diesbezügliche Vorstöße zu erwidern, und wer es vor Hunger gar nicht mehr aushalte, solle sich halt ein paar Tüten Chips oder Erdnüsse leisten.
    Man wärmte die klammen Finger an den Gläsern, nippte kurz am heißen Glühwein und wartete auf die Nachrichten der anderen Kanäle. Der Lokalsender TV Marche brachte die ersten Bilder vom Tatort. Außer einem Schwenk über die Felder, die Schaulustigen vor der Absperrung und ein paar Polizisten, die sich dort wichtig machten, gab es nicht viel zu sehen. Dann schob sich der Kopf des Reporters ins Bild. Er trug eine Pelzmütze, als wäre er auf dem Roten Platz in Moskau, und raunte ins Mikrofon:
    »… Das Gelände ist weiträumig abgesperrt. Noch untersuchen die Spezialisten der Spurensicherung das ausgebrannte Autowrack. Die Menschen hier harren aus, obwohl von der Absperrung aus nichts zu sehen ist. Immer wieder schütteln sie den Kopf, verstehen nicht, wie solch eine Tragödie gerade hier im beschaulichen Hinterland der adriatischen Küste geschehen konnte. Bei aller Bestürzung wurden wir Zeugen eines erhebenden Moments, als der Leichenwagen die beiden Toten abtransportierte. Langsam wich die Menge zur Seite, bildete ein Spalier für den Wagen. Jemand begann zögernd zu klatschen, und alle fielen ein, applaudierten den beiden Männern, die für Recht und Gerechtigkeit ihr Leben gelassen hatten …«
    »Im beschaulichen Hinterland der adriatischen Küste«, äffte Franco Marcantoni den Sprecher nach.
    »Ja, und?«
    »Kein Wort von Montesecco«, murrte Franco.
    »Sei doch froh, wenn sie uns unsere Ruhe lassen!«, sagte Marta Garzone.
    Franco knurrte irgendetwas, gab dann aber Ruhe, weil er keine neue Auseinandersetzung vom Zaun brechen wollte.
    »Mal sehen, was die Berlusconi-Sender bringen«, sagte Ivan. Er nahm die Fernbedienung und zappte durchs Abendprogramm.
    »… Wie aus Polizeikreisen durchsickerte, wurde das Attentat höchstwahrscheinlich mit einem schultergestützten, sechsschüssigen Granatwerfer südafrikanischen Fabrikats durchgeführt. Mit einer Waffe also, die weltweit bei Terrorgruppen und paramilitärischen
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