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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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verderben, diesen ganz privaten Frieden, den ich für mich allein besiegle. Doch das ist zu viel für einen geschwächten Mann, meine Knie geben nach, und ich sinke auf der Pritsche zusammen, den Kopf in beiden Händen vergraben.
    Ich bin noch nicht so weit, dass ich mich in den Patio vorwagen könnte. Es ist zu früh für mich. Ich bleibe lieber noch eine Weile in meiner Zelle, um zu mir zu kommen, zu sehen, wo ich nun eigentlich stehe in diesem bunten Reigen von Enthüllungen. Adel setzt sich zu mir. Er zögert eine Weile, bevor er mir seinen Arm um den Hals legt; eine Geste, die mir zuwider ist, mir durch und durch geht, doch die ich nicht zurückweise. Ist es Reue? Oder Mitgefühl? In beiden Fällen wäre es nicht das, was ich erwarte. Erwarte ich wirklich etwas von einem Mann wie Adel? Das sollte mich wundern. Wir haben radikal unterschiedliche Vorstellungen davon, was die einen von den anderen erwarten können. Für ihn liegt das Paradies am Ende des Menschenlebens; für mich liegt es am Ende der ausgestreckten Hand. Für ihn war Sihem ein Engel, für mich war sie meine und nur meine Frau. Für ihn sind Engel unsterblich, für mich sterben sie an den Verletzungen, die wir ihnen zufügen … Nein, wir haben uns wirklich so gut wie nichts zu sagen. Es ist schon ein Glück, dass er meinen Schmerz überhaupt wahrnimmt. Sein Schluchzen löst tief in mir drin ein Echo aus. Ohne dass ich es merke oder rechtfertigen könnte, macht meine Hand sich selbständig, legt sich tröstend auf seine … Und dann haben wir geredet, geredet und geredet, als ob wir versucht hätten, jede Faser unserer Körper zu aktivieren. Adel kam nicht aufgrund geschäftlicher Dinge nach Tel Aviv, sondern um die örtliche Zelle der Intifada finanziell zu unterstützen. Er nutzte meine Popularität und meine Gastfreundschaft aus, um jeden Verdacht von sich fern zu halten. Sihem hatte rein zufällig eine Aktenmappe entdeckt, die er unter dem Bett versteckt hatte. Dokumente und eine Faustwaffe waren herausgefallen. Adel hatte bei seiner Rückkehr gleich begriffen, dass sein Versteck entdeckt worden war. Er hatte erst daran gedacht, Alarm zu schlagen und unterzutauchen. Er hatte sogar erwogen, Sihem zu töten, um nichts dem Zufall zu überlassen. Er war gerade dabei, sich ein Szenario für ihren »Unfalltod« auszumalen, da kam sie mit einem Bündel Schekel zu ihm ins Zimmer. »Hier. Für eure Sache«, hat sie gesagt. Adel hat Monate gebraucht, bis er bereit war, sie ins Vertrauen zu ziehen. Sihem wollte sich ihm anschließen in der Widerstandsbewegung. Die Zelle hat sie auf die Probe gestellt, und sie war überzeugend gewesen. Warum hatte sie mir denn nichts davon gesagt? Was hätte sie dir denn sagen sollen? Sie konnte doch nichts sagen, hatte gar kein Recht dazu. Sie legte auch keinen Wert darauf, dass sich ihr jemand in den Weg stellte. Und außerdem schweigt man über diese Art von Verpflichtungen. Man posaunt doch den Eid, den man geleistet hat und den man unter größter Geheimhaltung einhält, nicht über alle Dächer. Mein Vater und meine Mutter glauben, dass ich Geschäftsmann bin. Beide erwarten, dass ich ein Vermögen mache, um sie aus ihrem Elend zu befreien. Sie haben keine Ahnung von meiner Arbeit im Widerstand. Dabei sind sie ebenso gut Widerstandskämpfer wie ich. Sie würden keine Sekunde zögern, ihr Leben für Palästina zu geben … aber nicht ihr Kind. Das wäre nicht normal, denn die Eltern leben in ihren Kindern weiter, sie sind ihr Stück von der Ewigkeit … Sie werden untröstlich sein, wenn sie von meinem Tod erfahren. Mir ist bewusst, welch grenzenlosen Schmerz ich ihnen zufügen werde, aber das wird nur ein Kummer mehr unter den Kümmernissen ihres Lebens sein. Mit der Zeit werden sie ihre Trauer überwinden und mir vergeben. Das Opfer ist nicht nur Sache der anderen. Wenn wir hinnehmen, dass die Kinder der anderen für die unseren sterben, müssen wir auch hinnehmen, dass unsere Kinder für die der anderen sterben, das wäre sonst nicht loyal. Und an dieser Stelle kommst du nicht mehr mit, ammou. Sihem ist in erster Linie Frau, und erst danach deine Frau. Sie ist für die anderen gestorben … Warum ausgerechnet sie …? Warum nicht sie? Warum willst du, dass Sihem von der Geschichte ihres Volkes ausgeschlossen sein soll? Was unterschied sie von den Frauen, die sich vor ihr geopfert haben? Das ist der Preis, den man zahlen muss, um frei zu sein … Das war sie doch. Sihem war frei. Sie konnte alles tun. Ich habe sie in
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