Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
keiner Weise eingeschränkt. Die Freiheit ist kein Pass, den man in der Präfektur ausgestellt bekommt, ammou. Zu verreisen, wohin man will, bedeutet noch lange nicht frei zu sein. Zu essen, so viel man will, noch kein Erfolg. Die Freiheit ist eine feste Überzeugung; sie ist die Mutter aller Gewissheiten. Und Sihem war sich nicht so sicher, ihres Glückes würdig zu sein. Ihr habt unter demselben Dach gelebt, dieselben Privilegien genossen, aber ihr habt nicht in dieselbe Richtung geblickt. Sihem stand ihrem Volk viel näher als der Vorstellung, die du dir von ihr gemacht hast. Sie mochte glücklich sein, aber nicht hinreichend, um dir ähnlich zu sein. Sie nahm es dir nicht übel, dass du den Lorbeer, mit dem man dich überhäufte, für bare Münze genommen hast, doch sie wünschte sich eine andere Art von Glück für dich, denn dieses fand sie einen Hauch anstößig, eine Spur unpassend. Es war, als ob du auf verbrannter Erde ein Grillfest feiern würdest. Du sahst nur das Grillfest, sie sah den Rest, die Trostlosigkeit ringsum, die all deine Freuden verfälschte. Es war nicht deine Schuld; dennoch ertrug sie es nicht länger, deine Einäugigkeit mitzutragen … Ich habe überhaupt nichts kommen sehen, Adel. Sie schien so glücklich zu sein … Du wolltest sie so gern glücklich sehen, dass du deine Augen vor allem verschlossen hast, was einen Schatten auf ihr Glück werfen könnte. Sihem wollte diese Art von Glück nicht. Es machte ihr ein schlechtes Gewissen. Die einzige Möglichkeit, sich davon zu entlasten, war, unserer Sache beizutreten. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung, wenn man aus einem leidgeprüften Volk stammt. Es gibt kein Glück ohne Würde, und kein Traum ohne Freiheit … Die Tatsache, Frau zu sein, disqualifiziert die Widerstandskämpferin nicht, verschont sie nicht und schließt sie nicht aus. Der Mann hat den Krieg erfunden, die Frau den Widerstand. Sihem war Tochter eines Volkes, das Widerstand leistet. Sie wusste sehr genau, was sie tat … Sie wollte es sich verdient haben zu leben, ammou, wollte das Bild, das der Spiegel ihr zurückwarf, verdient haben, wollte es verdient haben, hellauf zu lachen, und nicht nur von ihrem Glück profitieren. Ich kann mich auch ins Geschäftsleben stürzen und schneller als Onassis zu Geld kommen. Aber wie kann man akzeptieren, blind zu sein, um glücklich zu werden, wie kann man sich selbst den Rücken zukehren, ohne seiner Selbstverleugnung ins Gesicht zu blicken? Man kann nicht mit der einen Hand die Blume gießen, die man mit der anderen pflückt; man gibt einer Rose, die man ins Glas stellt, nicht ihre Anmut zurück, sondern verfälscht ihre Natur; man glaubt, man verschönert sein Wohnzimmer mit ihr, doch in Wahrheit verunstaltet man nur seinen Garten … Seine Logik ist glasklar, doch ich stoße mich an ihr wie eine Mücke an einem Glas. Seine Botschaft schwebt mir deutlich vor Augen, doch ich finde keinen Zugang zu ihr. Ich versuche, Sihems Tat zu begreifen, und finde keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung dafür. Je länger ich darüber nachdenke, je weniger leuchtet es mir ein. Wie sie dorthin gelangt ist.
    » Es kann jedem passieren « , hatte Naveed gesagt. » Entweder es fällt dir wie ein Ziegel auf den Kopf, oder es frisst sich in dir fest wie ein Bandwurm. Danach siehst du die Welt mit anderen Augen. « Sihem musste diesen Hass schon immer, schon lange, bevor sie mich kennen lernte, in sich haben. Sie war auf Seiten der Unterdrückten aufgewachsen, als Waisenkind und Araberin in einer Welt, die weder dem einen noch der anderen etwas schenkt. Sie musste ihren Rücken sehr tief beugen, logischerweise, wie ich auch, nur dass sie ihn nicht ein einziges Mal hat aufrichten können. Manche Kompromisse, die man eingehen muss, wiegen schwerer als die Last der Jahre. Um dahin zu kommen, sich mit Sprengstoff voll zu packen und mit einer solchen Entschiedenheit in den Tod zu gehen, musste sie eine Verletzung in sich tragen, die derart gemein und scheußlich war, dass sie sich schämte, sie mir zu zeigen. Die einzige Möglichkeit, davon freizukommen, bestand darin, sich mit ihr zusammen zu zerstören, wie ein Besessener, der sich von der Klippe stürzt, um seinen Dämon und die eigene Verwundbarkeit zu besiegen. Zwar kaschierte sie ihre Narben bewundernswert gut, hat sie vielleicht zu übertünchen versucht, doch ohne Erfolg. Es hat nur eines winzigen Auslösers bedurft, um die Bestie, die in ihr schlummerte, zu wecken. In welchem Moment wurde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher