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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin
Autoren: Yasmina Khadra
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erst hinüber ist. Vor allem, wenn man feststellt, dass man nicht die Mittel hat, seine Würde wiederherzustellen, dass man ohnmächtig ist. Ich glaube, das ist die beste Schule des Hasses. Man lernt erst in der Sekunde wirklich zu hassen, in der man sich seiner Ohnmacht bewusst wird. Es ist ein tragischer Moment, der entsetzlichste und scheußlichste von allen .«
    Er packt mich grimmig an den Schultern. »Ich wollte, dass du verstehst, warum wir zu diesen Waffen gegriffen haben, Herr Doktor Jaafari, warum Kinder sich auf Panzer stürzen, als wären es Bonbongläser, warum unsere Friedhöfe überquellen, warum ich mit der Waffe in der Hand sterben will … warum deine Frau sich in einem Restaurant in die Luft gesprengt hat. Es gibt keine größere Katastrophe als die Erfahrung, gedemütigt zu werden. Das ist ein grenzenloses Unglück, Doktor. Es raubt dir den Geschmack am Leben. Und solange du deine Seele noch nicht ausgehaucht hast, hast du nur noch den einen Gedanken im Kopf: wie ein Ende in Würde finden, nachdem man elend, blind und nackt gelebt hat ?«
    Er merkt, dass mich seine Finger schmerzen, und nimmt die Hände wieder weg.
    »Niemand wird nur so zum Spaß Mitglied unserer Brigaden, Herr Doktor. All die Jugendlichen, die du gesehen hast, die einen mit ihren Steinschleudern, die anderen mit ihren Raketenwerfern, hassen den Krieg mehr, als du dir vorstellen kannst. Weil Tag für Tag einer von ihnen in der Blüte des Lebens von einem feindlichen Geschoss hinweggerafft wird. Sie hätten auch gern eine angesehene gesellschaftliche Position, wären gern Chirurgen, Schlagerstars, Schauspieler, würden gern in tollen Autos herumfahren und Abend für Abend den Mond vom Himmel holen. Das Problem ist nur, dass man ihnen diesen Traum verwehrt, Doktor. Man tut alles, sie in Ghettos zu sperren, so lange, bis sie ganz darin untergehen. Deshalb ziehen sie es vor, zu sterben. Wenn die Träume zerstört werden, wird der Tod zum letzten Aus weg … Sihem hat das verstanden. Du solltest die Entscheidung, die sie für sich getroffen hat, respektieren und sie in Frieden ruhen lassen .«
    Bevor er geht, fügt er noch hinzu: »Der menschliche Wahn kennt nur zwei Extreme. Den Moment, in dem man sich der eigenen Ohnmacht, und den, in dem man sich der Verwundbarkeit der anderen bewusst wird. Man hat nur die Wahl, seinen Wahn zu akzeptieren oder mit ihm unterzugehen .«
    Und schon wendet er sich ab, im Schlepptau seine Leutnants.
    Ich bleibe sprachlos in der Zelle zurück, vor mir die aufgerissene Tür, die auf einen lichtdurchfluteten Innenhof hinausgeht. Die Sonnenreflexe treffen mich mitten ins Hirn. Ich höre mehrere Autos abfahren, dann ist Stille. Ich glaube zu träumen, wage es nicht, mich zu zwicken. Ist das wieder nur ein Bluff?
    Da taucht eine Silhouette im Türrahmen auf. Ich erkenne sie sogleich. Stämmig, rundlich, mit hängenden Schultern und kurzen, leicht krummen Beinen – das ist Adel. Ich weiß nicht, warum, aber als ich ihn so sehe, wie er zu mir in die tiefste Nacht herabsteigt, schluchze ich auf.
    » Ammou? « , sagt er mit aufgewühlter Stimme.
    Er geht auf mich zu, mit ganz kleinen Schritten, als bewege er sich in der Höhle eines Bären.
    »Onkelchen? Ich bin’s, Adel … Man hat mir gesagt, dass du mich suchst. Darum bin ich hier .«
    »Du hast aber lange gebraucht .«
    »Ich war nicht in Dschenin. Erst gestern Abend hat Zakaria angeordnet, dass ich zurückkommen soll. Ich bin erst vor einer knappen Stunde hier eingetroffen. Ich wusste nicht, dass es deinetwegen war. Was ist denn los, ammou? «
    »Nenn mich nicht immer Onkelchen. Die Zeiten haben sich geändert, seit ich dich in mein Haus aufnahm und wie einen Sohn behandelt habe .«
    »Das merke ich«, sagt er und senkt den Kopf.
    »Was kannst du schon, du bist doch nicht mal fünfundzwanzig? Siehst du wenigstens, in was für einen Zustand du mich versetzt hast ?«
    »Dafür kann ich nichts. Dafür kann niemand etwas. Ich wollte nicht, dass sie loszog, um sich in die Luft zu sprengen, aber sie war wild entschlossen. Sogar Imam Marwan hat es nicht geschafft, sie davon abzubringen. Sie hat gesagt, sie sei Palästinenserin und sehe nicht ein, warum sie anderen überlassen sollte zu tun, was ihre Aufgabe sei. Ich schwöre es dir, sie wollte nichts sehen und hören. Wir haben ihr gesagt, dass sie uns lebendig mehr nützen könnte als tot. Sie hat uns in Tel Aviv sehr unterstützt. Unsere wichtigsten Versammlungen haben wir bei dir im Haus durchgeführt. Wir
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