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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten
Autoren: Stanislaw Lem
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zweite Sektion kontrollierte die Übersetzung des Rapports und verglich sie mit dem Original, dem berühmten magnetischen Draht, der aus dem Tresor des Instituts für Meteorenforschung hervorgeholt worden war. Die dritte Sektion arbeitete an den bis dahin noch nicht entzifferten Abschnitten des Rapports. Dort waren vor allem Mathematiker und Physiker vertreten; sie hielten ihre Sitzungen hauptsächlich in der Zentrale des Elektronenhirns ab und befahlen diesem, unausgesetztdie kompliziertesten Berechnungen zu verdauen. Dies führte sogar zu einem kleinen Zusammenstoß mit den Biologen, die behaupteten, daß die Physiker das Institut für sich allein in Beschlag genommen hätten und es den anderen unmöglich machten, das Elektronenhirn zu benutzen.
    Während sich in der ganzen Welt Millionen Menschen dank Radio, Presse und Fernsehen über den Inhalt des veröffentlichten Teils des Rapports unterrichten konnten, kam es im weiteren Verlauf der Arbeiten in der Übersetzungskommission zu einer Wendung, wie sie niemand erwartet hatte.
    Den Anstoß zu der anscheinend wesentlichsten Entdeckung gab eine Diskussion in der biologischen Sektion, zu der als Gast und Berater der berühmte indische Mathematiker Chandrasekar eingeladen worden war. Einer der Gelehrten ging von dem schon vorher erwähnten Abschnitt des Rapports aus, der auf die erstaunlich geringe Größe der unbekannten Wesen hinzuweisen schien. Er vertrat die Ansicht, daß es sich um Insekten handle, die in Gemeinschaft lebten, Wesen wie Bienen oder Ameisen, aber mit unvergleichlich höherer Intelligenz.
    Der Vorsitzende der Sektion, Professor Kluever, erwiderte darauf: »Eine große Intelligenz setzt ein großes Gehirn voraus. Die Insekten vermögen jedoch kein größeres Gehirn zu entwickeln, als es ihren sonstigen Körperausmaßen angepaßt wäre. Ihre Atmungsorgane könnten einem Körper, dessen Größe einige Zentimeter übersteigt, nicht genügend Sauerstoff zuführen. Das ist auch der eigentliche Grund, warum keine sehr großen Insekten leben oder einmal lebten.« Sein Gegner wandte ein, daß das Atmungssystem der unbekannten Wesen ein ganz anderes sein könnte. Professor Kluever wiederum entgegnete, daß Insekten, die ein anderes Nerven- und Atmungssystem besäßen als eben Insekten, seiner Meinung nach keine Insekten mehr seien. Ebensogut könnte man dann auch Tiere »mit Nerven-, Blutkreislauf- und Muskelsystem ausgestattete Pflanzen« nennen. Denn was für ein Merkmal bliebe dann in dem einen wie im anderen Fall außer der leeren Benennung übrig?
    Es entbrannte eine hitzige Diskussion, in der beide Seiten ihre Argumente zäh verteidigten. Man hätte bereits annehmen können, daß der Abend mit einem fruchtlosen Streit endenwürde, als Professor Chandrasekar, der bisher nur schweigend zugehört hatte, ums Wort bat.
    »Ich kam mit einer ganz bestimmten Idee hierher«, sprach er, »vielleicht bringt sie etwas Licht in das behandelte Problem. Ich untersuchte die Augenzeugenberichte über den Absturz des tungusischen Meteors sehr genau. Bei allen wurde während der Meteorenerscheinung beobachtet, daß sich die Schatten von Bäumen und Häusern entgegengesetzt zur Flugrichtung des Meteors verlängerten. Daraus folgt: Der Rapport, zumindest aber sein Schluß, kann nicht von Lebewesen verfaßt worden sein.«
    Diese Behauptung setzte die Anwesenden in höchstes Erstaunen. Ihre Blicke folgten dem Mathematiker, der an eine Tafel trat, ein größeres Stück Kreide aus dem Kästchen heraussuchte und sofort mit seiner Beweisführung begann: »Im Augenblick der Katastrophe schien die Sonne. Wenn also im Lichte des Weltraumschiffes Gegenstände auf sonnigen Plätzen Schatten warfen, dann war dieses Licht stärker als das der Sonne.« Daraus folgte, daß auch die Temperatur des Schiffskörpers höher als die der Sonne gewesen sein mußte. Die Zeitspanne, während der sich das Schiff im Bereich der Erdatmosphäre befunden hatte, war bekannt. Aus diesen Angaben berechnete der Professor, daß, unabhängig von der Mantelstärke der Rakete, eine Temperatur von nicht weniger als sechshundert Grad in seinem Innern geherrscht hatte. Einer solchen Hitze konnte natürlich kein Lebewesen standhalten. Der Rapport aber war während des ganzen Fluges, bis zum Augenblick der Katastrophe aufgenommen worden. »Daraus ergibt sich«, fuhr der Professor fort, »daß entweder automatisch arbeitende Instrumente die Urheber waren und sich in der Weltraumrakete überhaupt niemand befand oder
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