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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche
Autoren: Alastair Reynolds
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zuversichtlich, dass man sie wieder auf Körpertemperatur
bringen könnte, auch wenn es schwieriger sein würde als bei
einer normalen Kälteschlaf-Reanimation. Doch als man begann, ihr
Gesicht freizulegen, zeigte sich, dass die Arbeit noch längst
nicht beendet war.
    Die Würfel setzten sich unerwartet in Bewegung. Sie
türmten sich übereinander, purzelten wieder herunter und
schoben sich, ein abscheulicher Anblick, wellenförmig weiter.
Wie ein lebender Ölteppich ergoss sich der letzte Teil des
Kokons in Galianas Inneres. Die schwarze Flut rann ihr in den Mund,
in die Nase, in die Ohren und sogar um die Augäpfel herum in die
Augenhöhlen.
    Sie sah so aus, wie Skade gehofft hatte: strahlend wie eine
Königin, die in ihr Reich zurückkehrte. Selbst das lange
Haar war noch vorhanden, gefroren und brüchig zwar, aber genauso
schwarz wie damals, als sie fortgegangen war. Doch nun hatten sich
die schwarzen Maschinen erneut in ihrem Kopf eingenistet und lagerten
sich an die bereits vorhandene Formation an. Die Scans zeigten, dass
ihr eigenes Hirngewebe immer noch kaum angegriffen war, aber
große Teile des Implantatgewebes waren abgebaut worden, um
Platz für den Eindringling zu schaffen. Der schwarze Parasit sah
aus wie ein Krebs, der klauenbewehrte Tentakel in verschiedene Teile
ihres Gehirns ausschickte.
    Im Lauf von etlichen Tagen erwärmten Skade und ihr Team
Galiana auf etwas unter normale Körpertemperatur. Dabei
beobachteten sie den Eindringling ununterbrochen, aber er blieb auch
dann unverändert, als Galianas noch verbliebene Implantate
auftauten und die Verbindung zu ihrem Hirngewebe
wiederherstellten.
    Skade schöpfte wieder Hoffnung. Vielleicht hatten sie doch
noch Erfolg?
    Sie hätte beinahe Recht behalten.
    * * *
    Sie hörte eine Stimme. Es war eine menschliche Stimme, die
Stimme einer Frau, ohne das Timbre – jenen gottähnlich
anmutenden Nicht-Klang –, an dem sie gewöhnlich erkannte,
dass die Stimme aus ihrem eigenen Kopf kam. Diese Stimme war in einem
menschlichen Kehlkopf geformt und auf dem Weg durch etliche Meter
Luft mehrfach kaum merklich verzerrt worden, bevor sie von einem
menschlichen Gehör entschlüsselt wurde. Stimmen wie diese
hatte sie schon sehr lange nicht mehr gehört.
    Die Stimme sagte: »Hallo, Galiana.«
    Wo bin ich?
    Sie erhielt keine Antwort. Wenig später sagte die Stimme
freundlich: »Auch du wirst sprechen müssen, wenn du kannst.
Du brauchst es nur zu versuchen; der Trawl übernimmt den Rest,
er fängt die Absicht auf und übermittelt sie in Form von
elektrischen Signalen an deinen Kehlkopf. Aber es genügt leider
nicht, die Antwort nur zu denken – zwischen deinem und meinem
Bewusstsein besteht keine direkte Verbindung.«
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Worte bei ihr eintrafen.
Gesprochene Sprache war nach Jahrhunderten der Neuralverbindung so
entsetzlich langsam und linear, auch wenn Syntax und Grammatik
vertraut waren.
    Sie machte den ersten Sprechversuch und hörte mechanisch
verstärkt ihre eigene Stimme: »Warum nicht?«
    »Dazu kommen wir noch.«
    »Wo bin ich? Wer bist du?«
    »Du bist gesund und munter. Du bist zu Hause; im Mutternest.
Wir haben dein Schiff geborgen und dich reanimiert. Mein Name ist
Skade.«
    Galiana hatte bisher um sich herum nur schemenhafte Umrisse
wahrgenommen, doch jetzt wurde es heller. Sie lag, nicht ganz flach,
auf dem Rücken in einem Behälter, der an einen
Kälteschlaftank erinnerte, aber keinen Deckel hatte, so dass sie
der Luft ausgesetzt war. Aus dem Augenwinkel nahm sie Bewegungen
wahr, aber sie selbst konnte keinen Teil ihres Körpers bewegen,
nicht einmal die Augen. Eine verschwommene Gestalt erschien vor ihr,
beugte sich über den offenen Tank und wurde scharf.
    »Skade? Ich kann mich nicht an dich erinnern.«
    »Natürlich nicht«, antwortete die Fremde. »Ich
wurde erst nach deiner Abreise in die Synthese aufgenommen.«
    Sie hatte viele – tausende – von Fragen auf dem Herzen.
Aber sie konnte sie nicht alle auf einmal stellen, schon gar nicht,
wenn sie sich auf diese veraltete und so unglaublich
schwerfällige Art verständigen sollte. Aber irgendwo musste
sie anfangen. »Wie lange war ich fort?«
    »Fast auf den Monat genau einhundertneunzig Jahre. Abgereist
bist du im Jahr…«
    »2415«, ergänzte Galiana prompt.
    »… Richtig. Und jetzt haben wir 2605.«
    Galiana konnte sich an vieles nicht genau erinnern, und manches
wollte sie wohl auch lieber vergessen. Aber das Wesentliche war klar.
Unter ihrer Führung hatten
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