Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Apfelprinzessin

Die Apfelprinzessin

Titel: Die Apfelprinzessin
Autoren: Jenny Han
Vom Netzwerk:
vielGlück hatte! Großes Glück!«, erklärte ich ihm. »Ich durfte ganz hinten im Bus sitzen, ich hatte ein superleckeres Mittagessen, ich durfte den anderen laut vorlesen –«
    »Das machst du wirklich gut – vorlesen.«
    »Und in Sport bin ich am Seil hochgeklettert, bis ganz oben!«
    Opa hörte auf, Unkraut zu rupfen, und fragte: »Ist das nicht gefährlich?«
    »Nein, gar nicht. Da liegen überall dicke Matten!« Dann zeigte ich ihm meine Bonbonkette. »Ist die nicht phänomenal?«
    »Was heißt das?«
    »Das heißt richtig, richtig, richtig hübsch«, sagte ich.
    »Wie schreibt man das?« Opa ließ sein Unkraut fallen und zog wieder sein Notizbuch mit dem Stift hervor.
    »Äh – F-Ä-N-O …« Hm – wie schrieb man das eigentlich? »M-E-N-A-L.«
    Opa schrieb alles auf, dann fragte er: »Sicher?«
    »Ähm – ja, ganz sicher.«
    »Clara-ja, du bist auch
fänomenal

    Ich musste lachen. Ich fühlte mich selbst auch ganz
fänomenal
, mit meiner Bonbonkette und allem. Vielleicht ja sogar
fänomenal
genug für eine Apfelprinzessin. »Und rate mal, was noch?«
    »Was noch?«
    »Vielleicht bewerbe ich mich dieses Jahr als Apfelprinzessin.« Ich beobachtete ihn genau, um zu sehen, wie er reagieren würde.
    Opa runzelte die Stirn. »Als Apfelprinzessin?«
    »Du weißt doch, letztes Jahr beim Apfelfest. Sie hat eine rote Schärpe und steht auf dem Festwagen und winkt den Leuten.«
    Ich ließ mich ins Gras plumpsen und winkte ihm nach der Art von Prinzessinnen zu. »Das will ich sein.«
    »Klingt gut«, sagte Opa. »Du würdest bestimmt sehr süß aussehen auf dem Wagen. Perfekt.«
    Ich sah zu ihm auf. »Das sagst du bloß, weil du mein Opa bist, Opa.«
    Er schüttelte den Kopf. »O nein. Dein Opa lügt nie.«
    Das war wohl wahr. Noch nie habe ich erlebt, dass Opa gelogen hat. Vielleicht wäre ich ja tatsächlich perfekt. Ich in meinem roten Kleid und mit meiner neuen Bonbonkette.
    Emmeline erwähnte die Kette nicht mehr. Ich dachte schon, sie hätte die Sache völlig vergessen, und war wieder ganz entspannt. Bis zum Abendessen. Plötzliche Angriffe aus dem Hinterhalt – darin ist Emmeline richtig gut. Sie ist der lebende Beweis dafür, dass man seine Feinde nie, nie unterschätzen soll.
    »Mami, Clara Lee will ihre Kette nicht mit mir teilen«, verkündete sie.
    Mama sah von ihrer Schüssel mit Ramen auf. Das sind Nudeln, die Papa immer kocht, wenn Mama erst spät aus dem Büro kommt. »Das ist ja eine süße Kette, Clara«, sagte sie. »Woher hast du die?«
    »Ist die nicht toll? Sie ist ein Geschenk«, sagte ich und wickelte ein paar Nudeln um meine Gabel. Ich wünschte, ich könnte Ramen mit Stäbchen essen, so wie Mama und Papa und Opa.
    »Steht dir gut«, sagte Opa. Papa fand das auch.
    »Aber sie will sie nicht mit mir teilen«, knatschte Emmeline. »Und ich will sie morgen anziehen.«
    Ich wartete nur darauf, dass Mama sagte: Hör mal, Clara, du solltest wirklich mit ihr teilen. Mama hält sehr viel vom Teilen. Dauernd sagt sie, dass große Schwestern mit ihren kleinen Schwestern teilen sollen, dass geteilte Freude doppelte Freude sei.
    Aber dieses Mal sagte sie es nicht. Stattdessen sagte sie: »Sieh mal, Emmeline, Clara hat die Kette eben erst geschenkt bekommen. Ich finde, sie sollte die Kette erst einmal eine Weile ganz für sich haben. Vielleicht leiht sie sie dir nächste Woche mal.«
    Emmeline sah aus, als würde sie gleich vor Schreck in Ohnmacht fallen. Ich konnte ihrem Gesicht ablesen, was sie dachte: »Hä?« Ich dachte dasselbe.
    »Aber, Mami … geteilte Freude ist doch doppelte Freude. Das sagst du doch selber immer.« Sie sah sich Hilfe suchend am Tischum. Opa zuckte nur mitleidig mit den Schultern.
    Papa sagte: »Das ist auch so, eindeutig, Em. Wie wär’s, teilst du dein Kimchi mit mir?«
    Damit war die Angelegenheit erst einmal erledigt. Ich hatte meine Bonbonkette ganz für mich allein, ausnahmsweise einmal musste ich etwas nicht mit Emmeline teilen.
    Abends wäre ich am liebsten nicht ins Bett gegangen. Was, wenn ich einen Traum hätte, der Unglück bedeutete und mein Glück verjagte? Was, wenn stattdessen das Unglück an meiner Seite blieb? Dann könnte ich das mit der Apfelprinzessin komplett vergessen, da war ich mir sicher.
    In der Nacht habe ich gar nichts geträumt. Wenigstens erinnerte ich mich nicht. Und Träume zählen nur, wenn man sich an sie erinnert.

Am nächsten Morgen bin ich schon ganz früh aufgewacht, und mein erster Gedanke war:
Ist mein Glück noch bei mir?
Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher