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Die Angebetete

Die Angebetete

Titel: Die Angebetete
Autoren: Jeffery Deaver
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zu dieser Jahreszeit angenehm, sogar bisweilen kühl, und Kathryn war entsprechend gekleidet. Nun war es ihr in ihrer langärmeligen grauen Baumwollbluse und der Bluejeans viel zu warm. Sie nahm die rosa geränderte Brille ab und putzte sie mit einer Serviette, während sie das Lenkrad zwischen den Knien hielt. Ein Schweißtropfen war ihr mitten über eines der Gläser gelaufen. Der Bordcomputer des Pathfinder meldete Sechsunddreißig Grad Außentemperatur.
    September. Von wegen.
    Dance freute sich noch aus einem anderen Grund auf die Reise – sie würde die einzige Berühmtheit unter ihren Freunden treffen, Kayleigh Towne, die inzwischen allseits bekannte Singer-Songwriterin. Kayleigh unterstützte schon seit Jahren Dance’ und Martines Internetseite und damit auch die dort präsentierten einheimischen Musiker. Sie hatte Dance zu ihrem großen Konzert am Freitagabend in Fresno eingeladen. Kayleigh war zwar ein Dutzend Jahre jünger als Kathryn, stand aber schon auf der Bühne, seit sie neun oder zehn war, und war bereits als Teenager ins Profilager gewechselt. Sie war witzig, klug und eine hervorragende Texterin und Unterhaltungskünstlerin, dabei aber völlig uneitel und deutlich reifer, als ihr Alter vermuten ließ. Dance war sehr gern mit ihr zusammen.
    Außerdem war sie die Tochter der Countrymusic-Legende Bishop Towne.
    Dance hatte bisher zwei oder drei von Kayleighs Auftritten verfolgt und sie in Fresno besucht. Dabei hatte sie auch die Bekanntschaft von Bishop gemacht, der mit bärenhafter Statur und gewaltigem Ego ins Zimmer getrampelt war und die Intensität eines Mannes verströmt hatte, der heutzutage ebenso leidenschaftlich abstinent lebte, wie er früher kokain- und alkoholabhängig gewesen war. Er hatte endlos über andere Leute in der Branche schwadroniert: Musiker, die er gut kannte (Hunderte), Musiker, von denen er gelernt hatte (nur die ganz Großen), Musiker, denen er ein Mentor gewesen war (die meisten der heutigen Superstars), und Musiker, mit denen er sich geprügelt hatte (von denen es ebenfalls jede Menge gab).
    Er war laut, ungehobelt und unverblümt theatralisch aufgetreten; Dance war fasziniert gewesen.
    Sein letztes Album hingegen hatte keinen Erfolg gehabt. Bishops Stimme hatte ihn im Stich gelassen, seine einstige Energie auch, und das waren genau die beiden Aspekte, an denen sogar die ausgefeilteste Digitaltechnik eines Aufnahmestudios kaum etwas ändern kann. Hinzu kamen die abgedroschenen Songs, die nichts mehr mit den brillanten Texten und Melodien zu tun hatten, denen er seinen früheren Erfolg verdankte.
    Dessen ungeachtet besaß er eine treue Gefolgschaft und behielt Kayleighs Karriere fest im Griff; wehe jedem Produzenten, Plattenboss oder Veranstalter, der Bishops Tochter nicht anständig behandelte.
    Dance erreichte nun die Stadtgrenze von Fresno. Das hundertsechzig Kilometer westlich gelegene Salinas Valley mochte als die Salatschüssel der Nation bekannt sein, doch das San Joaquin Valley war größer und ertragreicher, und Fresno war sein Zentrum. Es handelte sich um eine schmucklose Arbeiterstadt, etwa eine halbe Million Einwohner groß. Es gab ein paar Gangs und die gleiche Mischung von Straftaten wie derzeit in allen mittelgroßen Städten: häusliche Gewalt, Überfälle, Morde und sogar vereinzelte Terrordrohungen. Insgesamt lag die Verbrechensrate leicht über dem landesweiten Durchschnitt. Der Grund dafür, vermutete Dance, war die hohe Arbeitslosenquote von ungefähr achtzehn Prozent. Ihr fielen mehrere junge Männer auf, die wie lebende Beweise dieser Statistik wirkten. Sie lungerten an den Straßenecken herum, trugen ärmellose T-Shirts und ausgebeulte Shorts oder Jeans und schauten den vorbeifahrenden Autos hinterher oder plauderten und lachten und tranken aus Flaschen in braunen Papiertüten.
    Von dem glühend heißen Asphalt stieg Staub auf, und die Luft flimmerte. Hunde saßen auf Veranden und starrten ins Leere, und Dance erhaschte kurze Blicke auf Kinder in den Gärten hinter den Häusern, wo sie fröhlich über die laufenden Rasensprenger hüpften, was im fortwährend von Dürre geplagten Kalifornien zwar nicht illegal, aber zumindest bedenkenswert war.
    Dank des Navigationsgeräts fand sie mühelos zum Mountain View Motel am Highway 41. Trotz des Namens gab es dort keinen solchen Ausblick, aber das mochte am Dunst liegen. Dance kniff die Augen zusammen und spähte nach Osten und Norden. Es ließen sich allenfalls ein paar bescheidene Gebirgsausläufer
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