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Die Angebetete

Die Angebetete

Titel: Die Angebetete
Autoren: Jeffery Deaver
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Firmenchefs leicht das Doppelte hätte verdienen können. Sie hatte ihre Stelle im letzten Frühling angetreten und die Band hier noch nie live erlebt.
    »Oh, der Sound ist erstklassig«, sagte Kayleigh mit Blick auf die hässlichen Betonwände. »Würde man gar nicht vermuten.« Sie erklärte, die Konstrukteure der Halle hätten damals in den 1960er-Jahren offenbar ganze Arbeit geleistet. Es gab viele Konzertsäle – darunter auch besonders exklusive, die für klassische Musik gedacht waren –, deren Erbauer nicht daran geglaubt hatten, ein Musikinstrument oder eine Stimme könne ohne bauliche Unterstützung von der Bühne aus auch noch den hintersten Sitzplatz erreichen. Also hatten die Architekten winkelförmige Oberflächen und frei stehende Elemente hinzugefügt, um die Lautstärke der Musik zu erhöhen, was zwar gelang, aber die Schallwellen gleichzeitig in alle möglichen Richtungen ablenkte. Das Resultat war der akustische Albtraum eines jeden Künstlers, nämlich ein Widerhall, bei dem Echo auf Echo folgte, was dem Publikum einen breiigen, bisweilen sogar buchstäblich falschen Klang zu Gehör brachte.
    Hier, im bescheidenen Fresno, erläuterte Kayleigh nun Alicia, so wie ihr Vater es zuvor schon einmal ihr erläutert hatte, hatten die Konstrukteure hingegen auf die Kraft und Reinheit der Stimme, des Trommelfells, des Resonanzbodens, der Rohrflöte und der Saite vertraut. Sie wollte ihre Assistentin soeben auffordern, den Refrain eines ihrer Songs mit ihr anzustimmen, um einen anschaulichen Beweis der Akustik zu liefern – Alicia sang großartig die zweite Stimme –, als ihr auffiel, dass die Frau zum hinteren Teil der Halle schaute. Vielleicht war sie von dem wissenschaftlichen Vortrag gelangweilt. Doch dann runzelte Alicia die Stirn.
    »Was ist denn?«, fragte Kayleigh.
    »Sind nicht nur wir beide und Bobby hier?«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich dachte, ich hätte gerade jemanden gesehen.« Sie streckte den Arm aus. Ihre Fingernägel waren schwarz lackiert. »Dahinten, in dem Durchgang.«
    Genau an der Stelle, an der auch Kayleigh vor wenigen Minuten einen Schatten entdeckt zu haben glaubte.
    Mit feuchter Hand berührte sie geistesabwesend ihr Telefon und starrte auf die sich kontinuierlich verändernden Schemen im hinteren Teil der Halle.
    Ja … nein. Sie konnte es einfach nicht sagen.
    Dann zuckte Alicia die breiten Schultern, von denen eine von einer rot-grünen Schlangentätowierung geziert wurde. »Hm«, machte sie. »Wohl doch nicht. Was auch immer das war, es ist weg … Okay, dann bis später. Um eins im Restaurant?«
    »Ja, da sehen wir uns.«
    Kayleigh hörte, wie die Stiefelschritte sich entfernten, wandte den Blick aber nicht von den schwarzen Durchgängen ab.
    Dann flüsterte sie plötzlich wütend: »Edwin Sharp.«
    Da. Ich habe seinen Namen gesagt.
    »Edwin, Edwin, Edwin.«
    Und jetzt, da ich dich heraufbeschworen habe, hör gut zu: Verschwinde gefälligst aus meinem Konzertsaal. Ich habe zu tun.
    Dann wandte sie sich von dem finster gähnenden Durchgang ab, aus dem sie natürlich keine Menschenseele belauerte. Sie ging in die Mitte der Bühne und begutachtete die Klebebandkreuze auf dem verstaubten Holzboden. Damit waren die Stellen markiert, an denen Kayleigh an verschiedenen Punkten des Konzerts stehen würde.
    In diesem Moment rief jemand aus der Halle ihren Namen. »Kayleigh!« Es war Bobby, der nun hinter dem Mischpult zum Vorschein kam, dabei seinen Stuhl umwarf und sich gleichzeitig den Kopfhörer herunterriss. Er winkte ihr mit einer Hand zu und deutete mit der anderen auf einen Punkt über ihrem Kopf. »Vorsicht …! Nein, Kayleigh!«
    Sie schaute nach oben und sah einen der Scheinwerferriegel – eine mehr als zwei Meter lange Colortran-Batterie – aus der Aufhängung fallen und an einem dicken Stromkabel in Richtung der Bühne schwingen.
    Kayleigh wich instinktiv zurück und stolperte über einen Gitarrenständer, an den sie nicht gedacht hatte.
    Mit rudernden Armen kämpfte sie keuchend um ihr Gleichgewicht …
    Doch die junge Frau fiel hin und landete hart auf dem Steißbein. Die schwere Scheinwerferreihe schwang wie ein tödliches Pendel genau auf sie zu und wurde größer und größer. Kayleigh wollte sich panisch aufrappeln, wandte aber gleich wieder das Gesicht ab, weil die gleißenden Strahlen der Tausend-Watt-Birnen sie blendeten.
    Dann wurde alles schwarz.

2
    Kathryn Dance hatte mehrere Leben.
    Verwitwete Mutter zweier Kinder, beide kurz vor dem
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