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Die andere Haut: Roman (German Edition)

Die andere Haut: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Haut: Roman (German Edition)
Autoren: Carmen Schnitzer
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der Alltag, dem sie sich so gern verweigern wollen, nicht mehr derart einfach ignorieren lässt wie zu Zeiten ihres Studiums. Weil Termine und Pflichten plötzlich nicht mehr nur Angebote sind, die sie leugnen können, ohne allzu große Konsequenzen zu befürchten, weil alles darauf abzuzielen scheint, verbindlicher zu werden, endgültiger, stiller, und weil das ihrem Denken widerstrebt.
    Plötzlich mehren sich die Hochzeiten im Freundeskreis, werden Babys geboren und weitere Entscheidungen gefällt, die den Beigeschmack von festgetackerter Unendlichkeit haben. Immer häufiger hören sie in ihrem Umfeld den Satz „Ich bin angekommen“, sehen dieses Leuchten in den Augen, diesen Glanz, als käme es nur darauf an im Leben. Ziele zu erreichen. Anzukommen. Und dann zu bleiben. Lara und David genießen weiter das Feuer der Rastlosigkeit, diesen inneren Drang nach einem Weiter und Mehr, ohne dass sie wirklich fassen können, worin dieses Mehr besteht. Oder glauben sie nur zu genießen? Machen sie sich etwas vor? Sind sie nicht selbst längst ebenfalls „angekommen“ und weigern sich, dem in die Augen zu sehen?
    „Was heißt das, erwachsen sein?“, fragt David.
„Verantwortung übernehmen“, findet Lara.
„Okay.“
„Sind wir’s? Erwachsen?“
„Dann ja. Im Großen und Ganzen.“
„Schön, oder?“
„Ja. Dachte man damals nicht, aber ja.“
„Man?“
„Ich.“
„Ok. Ich nämlich nicht. Ich wollte das so.“
„Du wieder! Bei dir muss immer alles anders sein.“ Er verdreht die Augen. Wahrscheinlich hätte er grinsen sollen dabei, dann wäre die Betonung des Wortes bei Lara nicht als Verachtung angekommen. So aber verliert sie die Nerven. Es folgen Geschrei und Tränen, Wut und Zweifel, am Ende die Versöhnung und das erneute Einfinden im Gegenüber.
    An anderen Tagen ist es umgekehrt. Dann ist es David, der sich missverstanden fühlt, der seine strapazierten Nerven offenlegt, doch am Ende bleiben sie, was sie sind: zwei Menschen, so nah beieinander, wie sie sonst niemanden ertragen. Ein Paar und ein Team. Freunde, Geliebte, Wegbegleiter.
    Lara arbeitet nun in der Pressestelle des Stadttheaters, David schlägt sich als Grafiker durch und jobbt an ein oder zwei Abenden in der Woche in der „L-Bar“, in der sie beide mittlerweile zum Inventar gehören wie der verstaubte, rostige Kaugummiautomat in der Ecke, der schon lange nicht mehr funktioniert.
    „Ich werde zu alt für das“, schimpft David manchmal, doch
    Lara weiß, dass er lügt: „Sei nicht albern! Du liebst es.“ „Manchmal hasst man, was man liebt.“
„Red lieber nicht weiter.“
„Ich liebe dich!“
„Na danke!“ Diesmal lachend, obwohl die Wahrheit der Sätze im Grunde eine härtere ist als die rollenden Augen angesichts Laras „Andersseins“. „Ich liebe dich auch, du Trottel.“
    Gedichte schreiben sie nicht mehr. Manchmal noch holen sie die alten Zettel hervor und wundern sich, wie oft die wahllos zusammengewürfelten Worte zusammenpassen und doch wieder nicht.
    „Wie wir beide, was?“, fragt Lara.
„Was meinst du?“
„Zwei taumelnde Sucher. Oder ja, nenn es ruhig Schmetterlinge. Zufällig ineinander gestolpert oder geflogen und irgendwie hängengeblieben.“ „Das war kein Zufall damals.“
„An Silvester?“
„Nein. Ich habe mich extra hinschieben lassen zu dir.“ Er  lacht. „Tatsächlich?“
„Und wenn nicht?“
„Sag die Wahrheit!“
„Was willst du hören? Du hast mir gefallen.“
„Nur gefallen?“
„Ja. Ich hatte Lust auf dich.“
„Wir haben gar nicht miteinander geschlafen in dieser Nacht.“
„Tja. Leider.“
„Und wenn wir es hätten?“
„Was?“
„Wäre es dann dabei geblieben?“
„Uuuuuh ja!“ Er grinst. „Die erlegte Beute, der zufriedene  Jäger. Yeah! Ich hätte das Interesse verloren und wäre sofort getürmt.“  
    „Idiot, ich mein’s ernst!“
„Herrje, keine Ahnung! Ist doch gut so, wie es ist, oder?“
„Ja.“
Er sieht sie an, als suche er etwas in ihrem Gesicht. „Vermisst du manchmal die Zeit allein?“
„Natürlich, du nicht?“
„Etwas fehlt immer.“
„Sind wir zu unromantisch?“
„Ich glaube, du verwechselst da was. Wir sind eben nicht verkitscht. Nicht verloren in Illusionen.“
„Ich weiß nicht.“ Sie überlegt. „Braucht es das nicht ein bisschen? Illusionen? Mehr Geheimnisse?“
„Oder Dramen? Was hast du nur wieder gelesen? Soll ich mit Tellern werfen, willst du das?“
„Nein, Quatsch. Komm her.“
Sie umschlingen einander und bleiben den Sonntag über
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