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Die andere Haut: Roman (German Edition)

Die andere Haut: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Haut: Roman (German Edition)
Autoren: Carmen Schnitzer
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Schmerz, etwas Großes, doch Ricardos Wunsch scheint ein anderer zu sein und so lässt sie ihn ziehen, zurück in seine Welt, die nicht die ihre ist.
    Kaum ist sie allein, weint sie sich die Augen aus, läuft tränenblind durch die Straßen, die Strandpromenade entlang, bis ihr eine Passantin Taschentücher reicht und zu einem Tee einlädt, bei sich daheim, es ist nicht weit, Liebes, komm nur und ruh dich aus!
    Aus lauter Überraschung geht Lara mit. Die Frau ist winzig klein und vielleicht 60 oder 70 Jahre alt. In ihrem tiefbraunen Gesicht funkeln wache Augen von einer Farbe, die ständig changiert. Lindgrün, Grau, auch ein bisschen Kastanienbraun, mal heller, mal dunkler. Sie heißt Pilar und lebt als Witwe allein in einer blitzsauberen, mit Nippes vollgestopften Zweizimmerwohnung. Lara sinkt auf den angebotenen Platz, auf das dunkelgrüne, mit goldenen Borten verzierte Sofa, diese kleine, plötzliche Heimat für den Moment. Zur Ruhe kommen. Atmen.
    Pilar brüht Blätter auf und reicht Lara eine Tasse.„Zucker?“ „Ein bisschen, ja. Danke.“
Pilar setzt sich zu ihr und runzelt die Stirn. „Kindchen, Kindchen …“
    Lara lächelt schief. „Es ist nicht so schlimm.“  „Ein Mann?“  „Ja, irgendwie.“  „Irgendwie?“ Pilar lacht. „Von hier?“  „Ja.“  Lara erzählt ihre Geschichte so knapp und ehrlich es geht.
    Um all das Dazwischen zu erklären, all dieses Sehnen und Brennen, reicht ihr Spanisch nicht aus, ja das täte nicht einmal ihr Deutsch. Irrt sie sich oder blitzt in Pilars Augen trotzdem ein Wissen und Erkennen, als habe sie etwas ähnliches selbst schon erlebt?  Tatsächlich:„Ich war mal sehr verliebt in einen Franzosen.“ „Wie lange ist das her?“  „Bald 30 Jahre. Ich weiß nicht einmal, was er hier tat.
    Einige Monate lang kam er regelmäßig in das Restaurant, in dem ich arbeitete. Als Köchin, weißt du, ich koche gut, immer noch. Meinem Mann gehörte das Restaurant. Der Laden war nicht groß, und die Küche offen. Von weitem sah ich diesen Kerl. Er war so gar nicht mein Typ.“ Pilar lacht. „Klein und ein wenig dick. Sprach viel zu laut und polternd, lachte über seine eigenen Witze, die sonst niemand verstand. Aber etwas an ihm zog mich an. Ich ging raus und verbrachte meine Zigarettenpause bei ihm und seinen Freunden. Meinem Mann war das gleich, oder besser noch, ihm gefiel es, wenn ich die Gäste unterhielt. Ich war mal ganz hübsch, weißt du, es gab gutes Trinkgeld, wenn ich das tat. Er wusste ja, dass ich nicht auf diese lauten, wilden Kerle stehe. Normalerweise. Aber dieses eine Mal …“
    „War alles anders.“
„Ja. Er hatte Augen, blau wie ein Baby! So etwas sah man hier sonst ja kaum. Ich wollte darin versinken wie in einem Märchensee. Und da war etwas in seiner Haltung. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. So etwas sehr Natürliches, Sicheres im Umgang mit seinem Körper. Verstehst du, was ich meine?“
„Ich glaube. Er war darin zu Hause?“
„Genau! Das ist schön gesagt. Dabei, wie schon erwähnt, war er eigentlich kein attraktiver Mann. Aber ach … Er hat etwas in mir berührt! Wann immer er kam und etwas zu essen bestellte, habe ich mich bemüht, es besonders gut zu machen. Ich ertappte mich dabei, auf dem Markt oder anderswo nach besonderen Gewürzen zu forschen, mit denen ich ihn verzaubern konnte. Ganz ehrlich …“ Sie kichert. „Hin und wieder ging es auch daneben. Vor Aufregung vertat ich mich dann und kochte wie eine Anfängerin. Aber er aß auch meine versalzenen Speisen. Manchmal glaubte ich zu wissen, warum. Da war etwas in seinem Blick …“ Sie seufzt und spricht nicht mehr weiter.
Lara: „Was wurde daraus?“
Wieder lacht Pilar. Kehlig und kurz. „Bloß ein Traum!“
„Genügt das?“
„Es muss. Er hat nie von meinen Gefühlen erfahren, ich war ja verheiratet und nicht gerade ein mutiges Mädchen.“
„Würden Sie ihn gerne wiedersehen?“
„Ach nein. Was war, ist vorbei. Ich hatte ein gutes Leben. Und einen guten Mann.“ Sie lächelt und Lara sucht Wehmut in ihrem Blick oder Bitterkeit. Aber da ist nichts, nur eine Ruhe, Selbstverständlichkeit und Demut, die der Besucherin das Herz wärmt, unaufdringlich und sanft. Wäre sie nur selbst ein kleines bisschen wie diese Frau!
    Lara beschließt, die Erinnerungen an Ricardos Körper wegzuwaschen, so gut es geht, geduldig zu warten, bis die blauen Flecke verschwunden sind, die Kratzer und der Muskelkater, all die körperlichen Symptome, die gleichzeitig Ausdruck
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