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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Autoren: Jonas Jonasson
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eigentlich von mir?«, fragte er kleinlaut.
    »Ich möchte herkommen und mich durch deine Bücher buchstabieren können, ohne jeden Tag eine neue Schere mitbringen zu müssen. Für unsereinen, der ausschließlich Zähne im Mund hat und sonst gar nichts, sind Scheren nämlich teuer.«
    »Kannst du nicht einfach gehen?«, fragte Thabo. »Du kriegst einen von meinen Diamanten, wenn du mich in Frieden lässt.«
    Das war nicht sein erster Bestechungsversuch, aber diesmal blieb er erfolglos. Nombeko erklärte, sie erhebe keinen Anspruch auf irgendwelche Diamanten. Was ihr nicht gehörte, gehörte ihr nicht.
    Viel später, in einer anderen Weltengegend, sollte sich herausstellen, dass das Leben wesentlich komplizierter war, als sie in diesem Moment dachte.
    * * * *
    Es war schon Ironie des Schicksals, dass Thabos Leben von zwei Frauen ein Ende gesetzt wurde. Sie waren in Portugiesisch-Ostafrika aufgewachsen und hatten ihren Lebensunterhalt damit verdient, dass sie weiße Siedler erschlugen und deren Geld stahlen. Damit kamen sie so lange durch, wie der Bürgerkrieg anhielt.
    Doch als das Land seine Unabhängigkeit erklärte und seinen Namen in Mosambik änderte, bekamen die Siedler, die immer noch im Lande waren, achtundvierzig Stunden, um das Land zu verlassen. Danach blieb den Frauen nichts anderes übrig, als sich aufs Erschlagen wohlhabender Schwarzer zu verlegen. Eine wesentlich schlechtere Geschäftsidee, denn alle Schwarzen, die überhaupt etwas Stehlenswertes besaßen, gehörten zur nun regierenden marxistisch-leninistischen Partei. Daher dauerte es nicht lange und die Frauen waren zur Fahndung ausgeschrieben und wurden von der gefürchteten Polizei des neuen Staates gejagt.
    Deswegen waren sie Richtung Süden gezogen und hatten ihren Weg in das wunderbare Versteck Soweto in der Nähe von Johannesburg gefunden.
    Der Vorteil von Südafrikas größtem Elendsviertel war, dass man in der Masse untertauchte (wenn man denn schwarz war), der Nachteil jedoch der, dass noch der schlichteste weiße Bauer in Portugiesisch-Ostafrika mehr besaß als sämtliche achthunderttausend Einwohner von Soweto zusammengenommen (Thabo mal nicht mitgerechnet). Die Frauen warfen trotzdem ein paar bunte Pillen ein und gingen auf Mordtour. Nach einer Weile fanden sie den Sektor B, und dort, hinter der Latrinenreihe, erspähten sie eine grün gestrichene Hütte zwischen den übrigen rostbraungrauen. Wer seine Hütte grün anmalt (oder in irgendeiner anderen beliebigen Farbe), hat doch garantiert mehr Geld, als ihm guttut, dachten die Frauen, brachen mitten in der Nacht ein, rammten Thabo ein Messer in die Brust und drehten es um. So wurde dem Mann, der so viele Herzen gebrochen hatte, sein eigenes in Stücke geschnitten.
    Als er tot war, stöberten die Frauen zwischen all den verfluchten Bücherstapeln nach seinem Geld. Was hatten sie da denn für einen Trottel umgebracht?
    Am Ende fanden sie auf jeden Fall ein Bündel Geldscheine im einen Schuh des Opfers, und noch eins im anderen. Unvernünftigerweise setzten sie sich vor die Hütte, um es aufzuteilen. Doch der Tablettencocktail, den die Frauen mit einem halben Glas Rum runtergespült hatten, bewirkte, dass sie jeden Begriff von Zeit und Raum verloren. Und so saßen sie immer noch dort, beide mit einem Grinsen auf den Lippen, als überraschenderweise tatsächlich mal die Polizei auftauchte.
    Sie verhaftete die beiden Frauen, die daraufhin zu einem dreißigjährigen Kostenfaktor im südafrikanischen Justizvollzug wurden. Die Geldscheine, die sie zu zählen versucht hatten, lösten sich gleich zu Anfang der polizeilichen Ermittlungen in Luft auf. Thabos Leiche blieb bis zum nächsten Tag liegen. Im südafrikanischen Polizeikorps war es ein beliebter Sport, es möglichst der nächsten Schicht zu überlassen, sich um einen toten Neger zu kümmern.
    Nombeko war schon in der Nacht vom Lärm auf der anderen Seite der Latrinenreihe wach geworden. Sie zog sich an, ging hinüber und erfasste in etwa, was geschehen war.
    Als die Polizei mit den Mörderinnen und Thabos ganzem Geld verschwunden war, ging Nombeko in seine Hütte.
    »Du warst ein grässlicher Mensch, aber du konntest unterhaltsame Lügen erzählen. Du wirst mir fehlen. Oder zumindest deine Bücher.«
    Daraufhin machte sie Thabo den Mund auf und holte vierzehn ungeschliffene Diamanten heraus, genau die Anzahl, die in seinen Zahnlücken Platz gefunden hatte.
    »Vierzehn Lücken, vierzehn Diamanten«, sagte Nombeko. »Ging genau auf,
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