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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Autoren: Jonas Jonasson
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beibringe«, meinte er.
    »Super!«, sagte Nombeko. »Lass uns sofort heute nach der Arbeit anfangen. Meine Schere und ich kommen dann zu deiner Hütte.«
    Thabo war als Lehrer richtig fähig. Und Nombeko eine gelehrige Schülerin. Schon am dritten Tag konnte sie das Alphabet mit einem Stöckchen in den Lehm vor Thabos Hütte malen. Ab dem fünften Tag begann sie ganze Wörter und Sätze zu buchstabieren. Erst gerieten sie ihr hauptsächlich fehlerhaft. Nach zwei Monaten hauptsächlich richtig.
    In den Pausen zwischen ihren Lektionen erzählte Thabo von den Dingen, die er auf seinen Reisen erlebt hatte. Nombeko durchschaute sofort, dass er dabei zwei Teile Dichtung mit höchstens einem Teil Wahrheit mischte, aber das war ihr egal. Ihre eigene Realität war elend genug, von der Sorte brauchte sie nicht unbedingt noch mehr.
    Seine letzte Reise hatte ihn nach Äthiopien geführt, um Seine Kaiserliche Majestät, den Löwen von Juda, Gottes Auserwählten, den König der Könige abzusetzen.
    »Haile Selassie«, sagte Nombeko.
    Thabo antwortete nicht. Er erzählte lieber, als dass er zuhörte.
    Die Geschichte von diesem Kaiser, der zu Anfang noch Res Tefari hieß, woraus Rastafari wurde und daraus dann eine ganze Religion, nicht zuletzt auf den Westindischen Inseln, war so deftig, dass Thabo sie sich für den Tag aufgespart hatte, an dem er endlich einmal einen Vorstoß wagen wollte.
    Der Gründer war also von seinem kaiserlichen Thron verjagt worden, und rund um den Erdball saßen verwirrte Jünger, kifften und überlegten sich dabei, wie es möglich war, dass der Messias, die Inkarnation Gottes, plötzlich abgesetzt worden war. Konnte man Gott denn absetzen?
    Nombeko fragte bewusst nicht nach dem politischen Hintergrund dieser dramatischen Ereignisse. Sie war nämlich ziemlich sicher, dass Thabo keine Ahnung hatte, und wenn sie zu viele Fragen stellte, kam die Unterhaltung zum Erliegen.
    »Erzähl weiter!«, bat sie stattdessen.
    Thabo fand, dass sich die Sache gut anließ (so kann man sich irren). Er kam einen Schritt näher an das Mädchen heran und erzählte, wie er auf dem Heimweg in Kinshasa vorbeigefahren war, wo er Muhammad Ali vor seinem »Rumble in the Jungle« unterstützt hatte – das Schwergewichtsgipfeltreffen mit dem unbesiegbaren George Foreman.
    »Mein Gott, wie spannend«, sagte Nombeko und fand, dass die Geschichte an sich es ja auch war.
    Thabo lächelte sein breitestes Lächeln, und zwischen seinen verbliebenen Zähnen glitzerte es.
    »Ja, eigentlich wollte ja der Unbesiegbare meine Unterstützung, aber ich spürte, dass …« Thabo hörte erst auf, als Foreman in der achten Runde k.o. war und Ali seinem lieben Freund Thabo für die unschätzbar wertvolle Hilfe gedankt hatte.
    Übrigens war Alis Frau ganz entzückend.
    »Alis Frau?«, fragte Nombeko. »Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass …«
    Thabo lachte, dass es in seinem Mund nur so klirrte, doch dann wurde er wieder ganz ernst und rutschte noch ein Stück näher an sie heran.
    »Du bist sehr schön, Nombeko«, sagte er. »Viel schöner als Alis Frau. Was hältst du davon, wenn wir uns zusammentun? Wir könnten doch irgendwo anders hinziehen.«
    Und dann legte er ihr den Arm um die Schulter.
    Nombeko fand, dass sich »irgendwo anders hinziehen« wirklich wunderhübsch anhörte. Tatsächlich wäre ihr jeder Ort recht gewesen. Aber nicht mit dem alten Schmierlappen. Für heute schien die Lektion beendet zu sein. Nombeko rammte Thabo eine Schere in seinen anderen Oberschenkel und ging.
    Am nächsten Tag kam sie zu Thabos Hütte und sprach ihn darauf an, dass er ohne Krankmeldung seiner Arbeit ferngeblieben war.
    Thabo antwortete, er habe zu starke Schmerzen in beiden Oberschenkeln, vor allem in dem einen, und Fräulein Nombeko wisse ja sicher, worauf das zurückzuführen sei.
    Ja, und es könne auch noch schlimmer wehtun, denn nächstes Mal gedenke sie die Schere weder in den einen noch in den anderen Oberschenkel zu rammen, sondern irgendwo dazwischen, wenn Onkel Thabo nicht bald mal anfing, sich anständig zu benehmen.
    »Außerdem habe ich sowohl gesehen als auch gehört, was du in deinem hässlichen Mund hast. Du kannst dich drauf verlassen, dass ich es Hinz und Kunz auf die Nase binden werde, wenn du dich nicht ab sofort benimmst.«
    Thabo war zu Tode erschrocken. Er wusste nur zu gut, dass er seine verbleibende Lebenszeit in Minuten zählen konnte, wenn sein Diamantenvermögen erst einmal allgemein bekannt war.
    »Was willst du
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