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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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Ausbildung festigte das Vertrauen des Tieres in seine Reiterin. Es orientierte sich an ihr, so wie es sich auch in seiner natürlichen Umgebung stets am Verhalten des ranghöchsten Tieres orientierte.
    Von den Ausbilderinnen und Reiterinnen erforderte diese Erziehung ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Körperbeherrschung. Während sie ihren Pferden Schnelligkeit, Mut und aggressives Vorgehen lehrten, lernten sie es selbst. Sie schulten sich und ihre Tiere auf der Jagd, die ihr einziger Lebensunterhalt war, da sie als Kriegerinnen und Nomadenfrauen kein Getreide anbauten, also ohne Mehl und Brot auskamen. War die Jagd erfolglos oder die Frauen auf Kriegszug, ernährten sie sich von Schlangen und Eidechsen. Ihre grünen Augen, munkelte man später, hätten die Amazonen von den Eidechsen, ihre Widerstandskraft von dem Schlangengift, das – in kleinen Mengen genossen – immunisierend wirke, und ihr unbändiges Wesen vom Wild, das sie ernährte.

Das Opfer der Weiblichkeit
    Diese Frauen hatten mit den Skythinnen in Plynos’ und Skolopitos’ Gefolge schon fast nichts mehr gemeinsam, als sie den letzten Schnitt vollzogen. Bis jetzt waren sie Frauen, die sich aus Not und Stolz auf ein Leben als Kriegerinnen vorbereitet hatten. Nun aber diente nicht mehr der Krieg dem Leben, sondern das Leben dem Krieg. Sie sagten sich los von der Gemeinschaft der Menschen, beriefen sich auf Ares als ihren Vater und feierten ihre Staatsgründung als die Geburt der Amazonen aus dem Geist des Krieges.
    Der junge Staat entstand aus der Vernichtung. Alles, was bisher gewesen war, die Bindung an ein Volk, eine Familie, eine Heimat, wurde negiert, selbst die Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht. Wer sich Amazone nannte, hatte keine Vergangenheit und keine Geschichte mehr, sondern lebte im Jetzt des Augenblicks und der Plötzlichkeit des Schreckens.

    |31| Diese Unabhängigkeitserklärung machte nicht nur die Radikalität des Neubeginns deutlich, sondern gab aus dem Lauf der Geschichte heraus eine Antwort auf die Frage, wie die Amazonen gleichzeitig skythische Frauen und mythische Heldinnen sein konnten. Anlässlich der Staatsgründung wurde also nicht nur der große, goldene Bogen der Königin gefertigt, sondern auch der himmlische Spiegel, in dem die Amazonen fortan als Ares’ Töchter erschienen.
    Für diese Freiheit, die sie sich nahmen, gaben sie einen Teil ihrer selbst auf. Sie schnitten sich die rechte Brust ab, um ungehindert mit Pfeil und Bogen, Wurfspeer und Axt agieren zu können. Sie verstümmelten sich, um den Männern gleich zu sein und machten aus dem Opfer ihrer Weiblichkeit ein blutiges Initiationsritual. Amazone durfte sich nur nennen, wer sich diesem Akt der Beschneidung unterworfen hatte, der die Ungeheuerlichkeit des Verlustes als Preis für die Maßlosigkeit des Gewinns forderte. Auf der einen Seite blieben sie Frau, auf der anderen wurden sie zum Mann, dessen Eigenschaften sie sich rituell aneigneten. Erst das Fehlen des einen Geschlechtsmerkmales, einer erotischen Attraktivität, einer Verbindung zwischen Weiblichkeit und Mutterschaft ermöglichte den Zugewinn von Männlichkeit als körperliche Überlegenheit, Herrschafts- und Eroberungswillen.
    Es war ein gewaltsamer Ursprungskonflikt, aus dem der Amazonenstaat hervorging: Der Verlust der Männer und die drohende Inbesitznahme der Frauen stellte die Skythinnen vor die Wahl zwischen Leben und Tod. In diesem prekären Gründungsmoment waren das Leben bzw. Überleben und das Frausein unvereinbar. Die Aggression der Nachbarn zielte auf ihr Leben und bediente sich der erzwungenen Sexualität, also der Vergewaltigung, als Mittel zum Zweck. Die Skythinnen reagierten auf die drohende Gewalt, indem sie sich selbst Gewalt antaten. Dazu gehörte die Leugnung der eigenen Sexualität genauso wie das Verbot zu lieben. Die Geschichte der Amazonen wird zeigen, ob etwas Drittes vorstellbar ist zwischen Liebe und Gewalt.

|32| Kult und Kriege
    Bei den Skythen hießen sie „Oiorpata“, Männermörderinnen. Der Rest der Welt nannte sie „Amazonen“, ein Name, der sich aus dem griechischen „a mazos“ ableitet und soviel wie „ohne Brust“ bedeutet.
    Mit ihrer Kleidung illustrierten sie ihren Namen: Das kniekurze Gewand, das sie trugen, wurde über der Schulter zusammengehalten und ließ eine Brust – in der Malerei und Plastik ist es aus ästhetischen Gründen immer die unversehrte – frei. Ein kostbarer, mit Gold beschlagener Gürtel hielt das Kleid in der Taille zusammen.
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