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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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Schaudern an die Reise auf der Argo, an Aietes, den König von Kolchis, der Jason gezwungen hatte, zwei feuerspeiende Stiere zu bändigen, sie vor einen eisernen Pflug zu spannen und Drachenzähne in die Furchen zu streuen, aus denen im Handumdrehen bewaffnete Krieger heranwuchsen. Jason hätte sich zwischen sicherem Tod und Flucht entscheiden müssen, wäre nicht Medea gewesen, die Tochter von König Aietes. Sie hatte sich in Jason verliebt und verhalf ihm gegen den Willen ihres Vaters zum Goldenen Vlies. Medea war schön, jung, zart und wenig zimperlich. Das Zaubern wie Töten ging ihr leicht von der Hand. Ihren Bruder warf sie stückweise ins Meer, um die Verfolger der Argo aufzuhalten, und als Jason ihr später untreu wurde, zögerte sie nicht, ihre beiden gemeinsamen Kinder zu töten. Schon bei der Erwähnung der Namen Medea, Aietes oder Kolchis erschauderte die zivilisierte Welt. Unvorstellbar, dass jemand freiwillig diese Zauberer und Barbaren aufsuchte, noch dazu auf dem Landweg über den als unpassierbar geltenden Kaukasus.

    |35| Die Amazonen machten sich darüber wenig Gedanken. Auf ihrem Weg nach Osten unterwarfen sie wie nebenbei die Gebiete, durch die sie zogen. Schließlich erreichten sie die kaukasische Straße, einen engen, schneebedeckten Pass. Langsam und umsichtig, in steter Wachsamkeit vor Angriffen der gefürchteten Tiger, machten sich die Amazonen an den Anstieg. Ihre Pferde kletterten wie die Esel, indem sie bei jedem Schritt den hinteren Huf in die Spur des vorderen setzten und sich schnurgerade auf schmalen, abgründigen Pfaden einen Weg bahnten. Dann fielen die Amazonen in Kolchis ein. Die Wirkung der Reiterinnen auf dieses Volk von Seefahrern war ähnlich der, die Hannibal mit seinen Elefanten auf die Römer hatte. Bevor die Kolcher noch wussten, was da von den Bergen herunter auf sie zusprengte, waren sie besiegt.
    Und weiter zogen die Frauen nach Norden, durch Länder, von denen die Geschichtsschreiber immer weniger und immer Seltsameres zu berichten wussten. Ein Grund, warum die Amazonen einen derart schwierigen Weg wählten und sich in den äußersten Norden wagten, mag das Gold gewesen sein, das es dort in Hülle und Fülle gegeben haben soll. Dieses Gold, das nur unter schwierigsten Bedingungen und großen Gefahren geborgen werden konnte, bedeutete nicht nur Reichtum, sondern auch Macht. Nur wer mutig bis zur Tollkühnheit war, schlauer und schneller als die Wächter, die vom Boden und aus der Luft ihre Schätze verteidigten, konnte es für sich gewinnen. Indem die Amazonen ihre Gürtel, Waffen und das Zaumzeug ihrer Pferde mit Gold verzierten und Goldperlen als Schmuck trugen, stellten sie ihre Überlegenheit über alle anderen Menschen sichtbar unter Beweis.
    Kolchis, wo das sagenumwobene Goldene Vlies einst aufbewahrt wurde, war nur das Tor zum El Dorado des Nordens, das sich im Land der einäugigen Arimaspen befand. Der Weg dorthin führte durch Gebiete, in denen ständiges Schneetreiben jede Sicht und Orientierung nahm, durch Gegenden, von denen die Geschichtsschreiber nichts zu berichten wussten, weil kein Reisender sich dorthin verirrte.

    |36| Jenseits dieser Schneewüsten lagerten der Sage nach unermessliche Vorräte an Gold und Edelsteinen unter der Erde, die eifersüchtig bewacht wurden von Greifen, den geflügelten Raubtieren mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf und Schwingen eines Adlers. Diese hakenschnäbeligen Vogelwesen konnten mit ihren Krallen Beute bis zur Größe eines Elefanten fassen und zerreißen. Wenn sie nicht auf der Jagd waren, durchwühlten sie mit ihren riesigen Klauen die Erde nach Schätzen und förderten sie auf diese Weise zutage. Bevor die Greifen ihre Beute zusammenscharren und in ihren Hort bringen konnten, wurden sie regelmäßig von den Arimaspen angegriffen, die mindestens so goldgierig waren wie die Greifen. Es war ein endloser Kreislauf von Angriff, Sich-ein-paar-Brocken-Gold-Schnappen und möglichst schnellem Verschwinden. Weil die Arimaspen ein Reitervolk waren und beim Kampf um die Beute auf die Schnelligkeit ihrer Pferde setzen konnten, hassten die Greifen Pferde und taten nichts lieber und wilder, als sie in der Luft zu zerreißen.
    Zu Pferd nun näherten sich auch die Amazonen den Goldschätzen der Greifen, die sich sofort mit Geschrei auf die Frauen und Tiere stürzten. Gegen die hackenden Schnäbel und krallenbewehrten Klauen mussten die Amazonen ihre Reitkunst mit List und dem geballten Einsatz ihrer fliegenden Waffen
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