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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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Waffen wie zum Beispiel die gefürchtete Doppelaxt mit zwei Schneiden ließen sich in den Gürtel stecken oder daran befestigen. Die dritte und wichtigste Funktion dieses Gürtels war aber eine symbolische. Wie die Skythen Gürtel und Bogen ihres Königs als Symbole der von den Vorfahren ererbten Herrschaft ansahen, betrachteten auch die Amazonen ihren Gürtel als Statussymbol. Es hieß, Ares selbst habe der Königin den ihren geschenkt, und an die Abstammung von ihm erinnere der Gürtel jeder einzelnen Amazone. Er erinnerte aber auch die Gemeinschaft der Töchter daran, Töchter zu bleiben und den eng um den Leib geschmiegten Bund niemals zu lösen. Damit wurde er Zeichen der Jungfräulichkeit, auf die sich das Selbstverständnis der Amazonen gründete. Ungebunden wollten sie leben, selbstbestimmt und frei.
    So unerhört dieser Lebensentwurf als gesellschaftliche Realität auch war, gab es doch ein göttliches Modell, an dem sich die Amazonen orientierten. Sie verehrten die Göttin Artemis, die ihnen so nahe stand wie ein unsterbliches Vorbild dem sterblichen Abbild. Artemis war eine jungfräuliche Göttin, die nicht nur in selbst gewählter Abstinenz von Männern lebte, sondern diese verabscheute und ihre Gesellschaft mied. Abgesondert von anderen Menschen und Göttern streifte sie im Kreis ihrer Nymphen durch die Wälder, bewaffnet und gekleidet wie die Amazonen, |33| Herrin der Tiere und der freien Natur, eine Jägerin wie sie, die auch Menschen manchmal in den Tod schickte. Mindestens zwei Jäger hat sie erlegt, Orion mit einem Pfeilschuss, den anderen, Aktaion, verwandelte sie in einen Hirschen und ließ ihn als Strafe dafür, dass er sie beim Baden beobachtet hatte, von seinen eigenen Hunden zerreißen.
    Ganz andere Züge zeigte Artemis, wenn sie als Mondgöttin in Erscheinung trat. Dann war sie sanft, zart und voller Liebe zu dem jungen Endymion, den sie jede Nacht in seiner Höhle besuchte. Hier schlief der Schöne einen tiefen, ewigen Schlaf, in dem Artemis’ Umarmung nicht einmal im Traum vorkam. Aber sie war da, legte sich als Schimmer auf seinen Körper, glitt mit ihren Strahlen über seine Haut und war glücklich, ihn ganz in ihr Mondlicht aufnehmen zu können.
    Diese Nachtseite in Artemis’ Wesen war für die Amazonen genauso bedeutungsvoll wie ihr Dasein als Jägerin. Sie ahnten, dass Artemis die einzige unter allen Göttinnen und menschlichen Frauen war, die zeigen könnte, wie der Status einer Jungfrau mit dem einer Frau zu vereinbaren war. Aber noch war das nur eine dunkle Ahnung, noch dominierte die schwesterliche Ähnlichkeit in Wesen und Aussehen zwischen Artemis und den Amazonen, noch war die Jägerin das Vorbild. Der Mondgöttin erwiesen die Amazonen nur im Krieg ihre Referenz, indem sie halbmondförmige Schilde mit sich führten. Wie bei einem liegenden Halbmond zeigten die beiden äußeren Spitzen dieses Schildes nach oben. In der Mitte des Ausschnitts war eine kleine Erhebung angebracht, die dem Schild Stabilität gab und als Griff diente. Aufwendig gearbeitet, dabei leicht, reich verziert und gut zu halten glich diese Pelta einem Schmuckstück. Für diejenigen, die den Schild im Einsatz erlebten, wurde er allerdings zu einem Symbol des Schreckens.
    Als Erste mussten die Kimmerer die bittere Erfahrung machen, dass schöne Frauen mit zierlichen Waffen eine verheerende Wirkung haben können. Die Kimmerer waren von den Skythen aus ihrer Heimat nördlich des Schwarzen Meeres vertrieben worden |34| und hielten sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Amazonen auf. Sie lebten von Raub, auch von Seeräuberei, bestahlen sich gegenseitig und ächteten den Diebstahl wiederum mit Mord und Totschlag untereinander. Es war ein leichter Sieg, mit dem der Zug der Amazonen nach Osten begann. Das nächste Ziel war Kolchis. Noch während das Frauenheer Richtung Kaukasus marschierte, machte in Windeseile die Nachricht vom Überfall auf die Kimmerer die Runde. Auf den Handelswegen erreichte die unerhörte Botschaft die vereinzelten griechischen Kolonien an der Schwarzmeerküste und wurde von dort per Schiff ins Mutterland weitergeleitet.
    Die patriarchalisch denkenden Griechen waren fassungslos: Frauen im Krieg! Frauen, die einen Krieg gewinnen! Frauen, die sich freiwillig nach Kolchis trauten – jenem Kolchis, dem die tapfersten griechischen Helden mit Müh und Not entkommen waren! Jason und seine Argonauten waren in Kolchis gewesen, um das Goldene Vlies zu holen. Die Griechen erinnerten sich mit
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