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Die Abenteuer der Silvester-Nacht

Die Abenteuer der Silvester-Nacht

Titel: Die Abenteuer der Silvester-Nacht
Autoren: E. T. A. Hoffmann
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willen,
    schauen Sie doch“, wollt’ ich rufen, aber der Große nahm an
    allem keinen Anteil, sondern war ganz vertieft in seine
    Tschimborasso-Pflanzen, und in dem Augenblick forderte der
    Kleine: „Wein des Nordens“, wie er sich preziös ausdrückte.
    Nach und nach wurde das Gespräch lebendiger. Der Kleine
    war mir zwar sehr unheimlich, aber der Große wußte über
    geringfügig scheinende Dinge recht viel Tiefes und Ergötz-
    liches zu sagen, unerachtet er mit dem Ausdruck zu kämpfen
    schien, manchmal auch wohl ein ungehöriges Wort ein-
    mischte, das aber oft der Sache eben eine drollige Originalität
    gab, und so milderte er, mit meinem Innern sich immer mehr
    befreundend, den übeln Eindruck des Kleinen. Dieser schien
    wie von lauter Springfedern getrieben, denn er rückte auf dem
    Stuhle hin und her, gestikulierte viel mit den Händen, und
    wohl rieselte mir ein Eisstrom durch die Haare über den Rük-
    ken, wenn ich es deutlich bemerkte, daß er wie aus zwei ver-
    schiedenen Gesichtern heraussah. Vorzüglich blickte er oft
    den Großen, dessen bequeme Ruhe sonderbar gegen des Klei-
    nen Beweglichkeit abstach, mit dem alten Gesicht an, wiewohl
    nicht so entsetzlich, als zuvor mich. — In dem Maskenspiel
    des irdischen Lebens sieht oft der innere Geist mit leuchten-
    den Augen aus der Larve heraus, das Verwandte erkennend,
    und so mag es geschehen sein, daß wir drei absonderliche
    Menschen im Keller uns auch so angeschaut und erkannt hat-
    ten. Unser Gespräch fiel in jenen Humor, der nur aus dem tief
    bis auf den Tod verletzten Gemüte kommt. „Das hat auch sei-
    nen Haken“, sagte der Große. „Ach Gott,“ fiel ich ein, „wie viel
    Haken hat der Teufel überall für uns eingeschlagen, in
    Zimmerwänden, Lauben, Rosenhecken, woran vorbeistrei-
    fend wir etwas von unserm teuern Selbst hängen lassen. Es
    scheint, Verehrte, als ob uns allen auf diese Weise schon etwas
    abhanden gekommen, wiewohl mir diese Nacht vorzüglich
    Hut und Mantel fehlte. Beides hängt an einem Haken in des
    Justizrats Vorzimmer, wie Sie wissen!“ Der Kleine und der
    Große fuhren sichtlich auf, als träfe sie unversehens ein Schlag.
    Der Kleine schaute mich recht häßlich mit seinem alten Ge-
    sichte an, sprang aber gleich auf einen Stuhl und zog das Tuch
    fester über den Spiegel, während der Große sorgfältig die
    Lichter putzte. Das Gespräch lebte mühsam wieder auf, man
    erwähnte eines jungen wackern Malers, namens Philipp, und
    des Bildes einer Prinzessin, das er mit dem Geist der Liebe
    und dem frommen Sehnen nach dem Höchsten, wie der Her-
    rin tiefer heiliger Sinn es ihm entzündet, vollendet hatte.
    „Zum Sprechen ähnlich und doch kein Porträt, sondern ein
    Bild“, meinte der Große. „Es ist so ganz wahr,“ sprach ich,
    „man möchte sagen, wie aus dem Spiegel gestohlen.“ Da sprang
    der Kleine wild auf; mit dem alten Gesicht und funkelnden
    Augen mich anstarrend, schrie er: „Das ist albern, das ist toll,
    wer vermag aus dem Spiegel Bilder zu stehlen? — wer vermag
    das? meinst du, vielleicht der Teufel? — Hoho Bruder, der zer-
    bricht das Glas mit der tölpischen Kralle, und die feinen wei-
    ßen Hände des Frauenbildes werden auch wund und bluten.
    Albern ist das. Heisa! — zeig’ mir das Spiegelbild, das gestoh-
    lene Spiegelbild, und ich mache dir den Meistersprung von
    tausend Klafter hinab, du betrübter Bursche!“ — Der Große
    erhob sich, schritt auf den Kleinen los und sprach: „Mache Er
    sich nicht so unnütz, mein Freund! sonst wird Er die Treppe
    hinaufgeworfen, es mag wohl miserabel aussehen mit Seinem
    eignen Spiegelbilde.“ — „Ha ha ha ha!“ lachte und kreischte
    der Kleine in tollem Hohn, „ha ha ha — meinst du? meinst
    du? Hab’ ich doch meinen schönen Schlagschatten, o du jäm-
    merlicher Geselle, hab’ ich doch meinen Schlagschatten!“ —
    Und damit sprang er fort, noch draußen hörten wir ihn recht
    hämisch meckern und lachen: „hab’ ich doch meinen Schlag-
    schatten!“ Der Große war, wie vernichtet, totenbleich in den
    Stuhl zurückgesunken, er hatte den Kopf in beide Hände ge-
    stützt, und aus der tiefsten Brust atmete schwer ein Seufzer
    auf. „Was ist Ihnen?“ fragte ich teilnehmend. „O mein Herr,“
    erwiderte der Große, „jener böse Mensch, der uns so feindse-
    lig erschien, der mich bis hieher, bis in meine Normalkneipe
    verfolgte, wo ich sonst einsam blieb, da höchstens nur etwa
    ein Erdgeist unter dem Tisch aufduckte und
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