Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet

Titel: Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 03 - Der weisse Prophet
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
wenn der alte Mann nun die Früchte für die Entbehrungen seiner Jugend erntete. Damit schadete er niemanden, und jene, die sich davon blenden ließen, übersahen oft Chades rasiermesserscharfen Verstand, seine eigentliche Waffe.
    Im Gegensatz zu ihm war der Prinz genauso schlicht gewandet wie ich. Ich schrieb das den asketischen Traditionen des Bergreiches zu, aus dem Königin Kettricken stammte, und ihrer angeborenen Sparsamkeit. Mit seinen fünfzehn Jahren schoss Prinz Pflichtgetreu förmlich in die Höhe. Welchen Sinn ergab es da, ihm die feinsten Gewänder anpassen zu lassen, wenn er diesen sofort wieder entwuchs oder sie auf dem Übungsplatz zerriss? Ich musterte den jungen Mann, der lächelnd vor mir stand. Seine dunklen Augen und das lockige schwarze Haar waren ein Spiegelbild seines Vaters, doch sowohl seine Größe als auch sein entschlossenes Kinn erinnerte mich mehr an ein Porträt meines Vaters Chivalric.
    Der vierschrötige Mann, der ihn begleitete, war das vollkommene Gegenteil davon. Ich schätzte Dick auf Ende Zwanzig. Er besaß die kleinen Ohren und die hervorstehende Zunge eines Einfaltspinsels. Der Prinz hatte ihn in eine blaue Tunika und Hose gesteckt, die bis hin zu dem Bockswappen auf der Brust zu seinen eigenen Kleidern passten; doch die Tunika spannte sich über dem Bierbauch des kleinen Mannes, und die Hose hing an Knien und Knöcheln durch. Dick war eine seltsame Gestalt, belustigend und auch ein wenig abstoßend für jene, die im Gegensatz zu mir die Gabenmusik nicht spüren konnten, die dort wie ein Schmiedefeuer in ihm brannte, wo gewöhnliche Menschen ihre Gedanken hatten. Sie war jedoch weniger durchdringend und weniger lästig als einst, doch die Kraft seiner Magie war so groß, dass er seine Musik ständig mit uns teilte. Ich konnte sie aussperren, aber das hieß, meine Empfindsamkeit für die Gabe fast völlig abzuschalten; doch dann konnten Chades und Pflichtgetreus schwächere Gedanken nicht mehr zu mir durchdringen. Ich konnte Dick nicht von mir fern halten und Pflichtgetreu und ihn gleichzeitig unterrichten; also ertrug ich seine Musik vorläufig.
    Heute bestand sie aus dem Klacken einer Schere und dem Klappern eines Webstuhls vermischt mit dem hohen Kichern einer Frau. »So. Du hattest heute Morgen wieder eine Anprobe, nicht wahr?«, fragte ich den Prinzen.
    Meine Frage überraschte Pflichtgetreu nicht. Er wusste, wie ich darauf gekommen war und nickte nur müde. »Sowohl ich als auch Dick. Es war ein langer Morgen.«
    Dick nickte nachdrücklich. »Musste auf Stuhl stehen. Durfte mich nicht kratzen. Nicht bewegen. Während die Dick mit Nadeln stechen.« Letzteres fügte er in ernstem Ton hinzu und warf dem Prinzen einen tadelnden Blick zu.
    Pflichtgetreu seufzte. »Das war ein Unfall, Dick. Sie hat dir doch gesagt, du solltest still stehen.«
    »Sie war gemein«, erwiderte Dick, und ich vermutete, dass er nicht weit von der Wahrheit entfernt war. Vielen Edelleuten fiel es schwer, die Freundschaft des Prinzen zu Dick zu akzeptieren, und aus irgendeinem Grund empfanden manche Diener das sogar als Affront. In der Folge davon hielten es einige von ihnen offenbar immer wieder für nötig und angebracht, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.
    »Jetzt ist es jedenfalls vorbei, Dick«, tröstete ihn der Prinz.
    Wir nahmen unsere gewohnten Plätze an dem riesigen Tisch ein. Seit Chade verkündet hatte, dass er und der Prinz Gabenstunden abhalten würden, war dieser Raum im Seeturm gut möbliert. Lange Vorhänge umrahmten die großen Fenster, die geöffnet waren, um die angenehme Brise hereinzulassen. Die Steinwände und der Boden der Kammer waren gut geschrubbt und Tisch und Stühle geölt und poliert. Chades kleine Bibliothek von Schriftrollen lag ordentlich sortiert auf Regalen, und in abschließbaren Schränken bewahrte er jene Schriften aus, die er für ungewöhnlich wertvoll oder gefährlich hielt. Auf einem großen Schreibtisch standen Tintenfässer, frisch geschnittene Federn, und daneben lag ein großzügiger Vorrat sowohl an Papier als auch an Pergament. Es gab auch eine Anrichte mit Weinflaschen, Gläsern und anderen Dingen für das Wohlbefinden des Prinzen. Insgesamt war es ein bequemer, gemütlicher Raum geworden, der allerdings mehr Chades Geschmack als den des Prinzen widerspiegelte.
    Mir gefiel die Veränderung.
    Ich ließ meinen Blick über die Gesichter meiner Schüler schweifen. Pflichtgetreu schaute mich aufmerksam an. Dick jagte mit dem Finger irgendetwas in seinem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher