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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt
Autoren: Neal Stephenson
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die
feng-schui
von Hongkong, den kahlen, aber obligatorischen
Lebensraum
von L. A. Es war nicht mehr erforderlich, schmutzige Tölpel mit Waschbärmützen auszuschicken, um die Wildnis zu kartographieren, die Eingeborenen abzuknallen und die Wälder abzuholzen; heutzutage brauchte man dazu nur noch einen heißen jungen Geotekten, einen Materie-Compiler für den Anfang und eine gigantische Source.
    Hackworth konnte, wie die meisten anderen Neoviktorianer, Finkle-McGraws Biographie aus dem Gedächtnis herunterbeten. Der spätere Herzog war in Korea zur Welt gekommen und im Alter von sechs Monaten von einem Paar adoptiert worden, das sich in Iowa City an der Hochschule kennengelernt und später eine organische Farm an der Grenze zwischen Iowa und South Dakota aufgebaut hatte.
    Er war knapp über zehn Jahre alt, als ein Passagierflugzeug über dem Flughafen von Sioux City abstürzte, und Finkle-McGraw stand, zusammen mit seinen von ihrem Scharführer in aller Hast mobilisierten Pfadfinderkollegen und allen Krankenwagen, Feuerwehrmännern, Ärzten und Krankenschwestern im Umkreis mehrerer Countys, am Rande der Rollbahn. Die zielstrebige Entschlossenheit, mit der die Einheimischen auf den Absturz reagierten, wurde weltweit publik gemacht und später Thema eines Fernsehfilms. Finkle-McGraw konnte den Grund dafür nicht verstehen. Sie hatten einfach nur getan, was unter den Umständen vernünftig und human war; wieso fiel es Leuten aus anderen Landesteilen so schwer, das zu verstehen?
    Diese lückenhafte Kenntnis der amerikanischen Kultur mochte an der Tatsache gelegen haben, daß seine Eltern ihn ab dem vierzehnten Lebensjahr privat unterrichteten. Ein typischer Schultag bestand für Finkle-McGraw darin, daß er zum Fluß hinunterging, um Kaulquappen zu studieren, oder in die Bibliothek, um ein Buch über das alte Rom oder Griechenland auszuleihen. Die Familie hatte nicht viel Geld, in den Ferien wanderte man mit dem Rucksack durch die Rockys oder reiste zum Kanufahren ins nördliche Minnesota. Er lernte in den Sommerferien wahrscheinlich mehr als seine Altersgenossen während der Schulzeit. Gesellschaftliche Kontakte mit anderen Kindern fanden überwiegend bei den Pfadfindern oder in der Kirche statt - die Finkle-McGraws gehörten einer Methodistenkirche, einer katholischen Kirche und einer winzigen Synagoge in einem gemieteten Hinterzimmer in Sioux City an.
    Seine Eltern schickten ihn auf eine öffentliche High-School, wo er einen konstanten Notenschnitt von 2,0 bei möglichen 4 hielt. Der Lernstoff war so unvorstellbar langweilig, die anderen Kinder so dumm, daß Finkle-McGraw sich keine große Mühe gab. Er erwarb sich einigen Ruhm als Ringer und Langstreckenläufer, nutzte diesen aber niemals aus, um in den Vorzug sexueller Gefälligkeiten zu kommen, was im promiskuitiven Klima jener Zeit kein Problem gewesen wäre. Ihm war ein beachtlicher Teil jenes nervtötenden Charakterzuges in die Wiege gelegt worden, welcher einen jungen Mann dazu bringt, um des Nonkonformismus willen zum Nonkonformisten zu werden, und er fand heraus, daß man, zu jener Zeit, seine Mitmenschen am besten durch die Überzeugung schockieren konnte, daß manche Arten von Verhalten gut und andere schlecht seien und es vernünftig wäre, sein Leben dementsprechend zu leben.
    Nach seinem Abschluß an der High-School leitete er ein Jahr lang bestimmte Zweige des elterlichen Landwirtschaftsunternehmens und besuchte danach die Wissenschaftlich-Technische Fakultät der Iowa State University (»Wissenschaft mit Praxis«) in Arnes. Er wählte als Hauptfach Agraringenieur, wechselte aber nach einem Semester zur Physik. Nominell blieb Physik in den nächsten drei Jahren sein Hauptfach, aber er belegte Vorlesungen, wie es ihm beliebte: Informatik, Metallkunde, Frühgeschichte der Musik. Einen Abschluß machte er nie; freilich nicht aufgrund schlechter Leistungen, sondern wegen des politischen Klimas; die ISU bestand wie viele Universitäten darauf, daß ihre Studenten sich eine breite Themenpalette anzueignen hätten, einschließlich Kunst und Geisteswissenschaften. Finkle-McGraw las statt dessen lieber Bücher, hörte Musik und besuchte in seiner Freizeit das Theater.
    Eines Sommers, während er in Arnes lebte und als Assistent in einem Forschungslabor für Festkörperphysik arbeitete, wurde die Stadt von einer gewaltigen Überschwemmung einige Tage in eine Insel verwandelt. Finkle-McGraw verbrachte, wie viele Bewohner des Mittelwestens, einige Wochen damit,
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