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Diamond Age - Die Grenzwelt

Titel: Diamond Age - Die Grenzwelt
Autoren: Neal Stephenson
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Dämme aus Sandsäcken und Plastikplanen zu bauen. Wieder setzte ihn die landesweite Berichterstattung der Medien in Erstaunen – immer wieder tauchten Reporter von den Küsten auf und vermeldeten, mit nicht geringer Verwunderung, daß es nicht zu Plünderungen gekommen sei. Die Lektion, die er nach dem Flugzeugabsturz in Sioux City gelernt hatte, wurde wieder aufgefrischt. Die Plünderungen in Los Angeles ein Jahr zuvor boten ein auffälliges Gegenbeispiel. Finkle-McGraw entwickelte eine Meinung, die seine politischen Ansichten späterer Jahre prägen sollte, nämlich daß sich die Menschen
genetisch
nicht voneinander unterschieden,
kulturell
dagegen in allerhöchstem Maße, und manche Kulturen waren schlichtweg besser als andere. Das war kein subjektives Werturteil, sondern lediglich die Feststellung, daß manche Kulturen blühten und gediehen, während andere scheiterten. Es war eine Ansicht, die in jenen Tagen fast jeder hegte, die freilich selten ausgesprochen wurde.
    Finkle-McGraw verließ die Universität ohne Diplom und kehrte zur Farm zurück, die er einige Jahre führte, während seine Eltern mit dem Brustkrebs seiner Mutter beschäftigt waren. Nach ihrem Tod zog er nach Minneapolis und nahm eine Stelle bei einer Firma an, von einem seiner ehemaligen Professoren gegründet, die Tunnelscannermikroskope herstellte, zur damaligen Zeit neue Geräte, die es ermöglichten, einzelne Atome zu erkennen und zu bearbeiten. Das Forschungsgebiet war damals noch unbedeutend, die Kunden in der Mehrzahl große Forschungsinstitute, praktische Anwendungen schienen in weiter Ferne. Aber für einen Mann, der Nanotechnologie studieren wollte, war sie perfekt, und genau das nahm McGraw nun in Angriff, indem er in seiner Freizeit bis spät in die Nacht hinein arbeitete. Mit seinem Fleiß, seinem Selbstbewußtsein, seiner Intelligenz (»anpassungsfähig, hartnäckig, aber nicht wirklich brillant«) und dem Grundwissen, das er sich durch die Arbeit auf der Farm angeeignet hatte, war es unvermeidlich, daß er zu einem der wenigen hundert Pioniere der nanotechnologischen Revolution werden würde; daß seine eigene Firma, die er fünf Jahre nach seinem Umzug nach Minneapolis gründete, lange genug überlebte, um in Apthorp aufzugehen; und daß er die politischen und wirtschaftlichen Strömungen Apthorps geschickt genug lenkte, um sich eine anständige Dividendenposition zu sichern.
    Die Familienfarm im nordwestlichen Iowa gehörte ihm immer noch, zusammen mit einigen hundert Morgen des umliegenden Lands, das er wieder in eine Prärie mit hohem Gras zurückverwandelte – mit Bisonherden und richtigen Indianern, die festgestellt hatten, daß es besser war, auf Pferden zu reiten und Wild zu jagen, als sich in den Gossen von Minneapolis oder Seattle selbst zu bepissen. Die meiste Zeit hielt er sich jedoch in New Chusan auf, das in jeder praktischen Hinsicht sein Herzogtum war.
     
    »Public Relations?« sagte Finkle-McGraw.
    »Sir?« Die moderne Etikette war fließend; in dieser zwanglosen Umgebung waren weder ein »Euer Gnaden« noch eine andere förmliche Anrede erforderlich.
    »Ihre Abteilung, Sir.«
    Hackworth hatte ihm seine private Karte gegeben, die für die gegebenen Umstände ausreichte, aber nichts weiter verriet. »Ingenieure. Sonderprojekte.«
    »Ach, tatsächlich. Ich dachte mir, wer Wordsworth kennt, müßte eine dieser PR-Künstlernaturen sein.«
    »Nicht in diesem Fall, Sir. Ich bin Ingenieur. Vor kurzem erst zu den Sonderprojekten befördert worden. Zufälligerweise habe ich auch etwas Arbeit zu diesem Projekt beigesteuert.«
    »Was für Arbeit?«
    »Oh, hauptsächlich P. I.«, sagte Hackworth. Angeblich informierte sich Finkle-McGraw nach wie vor über neue Entwicklungen und dürfte daher die Abkürzung für Pseudointelligenz kennen, sich vielleicht sogar geschmeichelt fühlen, daß Hackworth von dieser Annahme ausging.
    Shanghai Finkle-McGraw strahlte verhalten. »Wissen Sie, in meiner Jugend nannten sie es K. I. Künstliche Intelligenz.«
    Hackworth gestattete sich ein verkniffenes, gepreßtes und knappes Lächeln. »Nun, ich schätze, man könnte einiges zum Thema Frechheit sagen.«
    »In welcher Weise wurde Pseudointelligenz hier verwendet?«
    »Ausschließlich bei dem Teil des Projekts, für den MPS zuständig war, Sir.« Imperial Tectonics hatte die Insel, Gebäude und Vegetation geschaffen. Machine-Phase Systems – Hackworths Arbeitgeber – alles Bewegliche. »Stereotypes Verhalten reichte aus für die Vögel,
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