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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche
Autoren: B Akunin
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Kaufleute, sondern Marineoffiziere: Zwei Minenleger und zwei Taucher. Sie wollten die Route der Kreuzer des Schwarzmeer-Geschwaders in den Fernen Osten verminen.
    Mylnikow fuhr mit sechs der besten Agenten, echten Bluthunden (darunter auch der verstorbene Maximenko) nach Aden, wo sie auf dem Markt betrunkene Matrosen mimten und eine Messerstecherei inszenierten, bei der sie die Japaner töteten; anschließend versenkten sie deren Gepäck in der Bucht. Die Kreuzer hatten freie Fahrt. Zwar wurden sie von den verfluchten Makakis dann trotzdem zerschmettert, aber das stand sozusagen auf einem anderen Blatt.
    Einen solchen Mitarbeiter hatte der Hofrat also verloren. Und das nicht einmal im Kampf, sondern durch Herzstillstand.
    Mylnikow erteilte Anweisungen, was mit den sterblichen Überresten geschehen sollte, kehrte zurück in die Fontanka, las den Bericht über den Nervösen noch einmal und verspürte plötzlich eine gewisse Unruhe. Er schickte Ljonka Sjablikow, einen äußerst fähigen Burschen, in die Nadeshdinskaja, die Wohnung Nummer sieben überprüfen.
    Und richtig: Das Gefühl hatte den alten Spürhund nicht getrogen.
    Vor zehn Minuten hatte Sjablikow angerufen. So und so, er habe sich als Klempner verkleidet, an der Tür geklopft und geklingelt – keine Antwort. Da habe er die Tür mit einem Dietrich geöffnet.Der Nervöse baumelte am Strick, am Fenster, in der Fensternische. Offensichtlich Selbstmord: Keinerlei blaue Flecke oder Würgemale, auf dem Tisch Papier und Bleistift – als habe er einen Abschiedsbrief schreiben wollen, es sich aber anders überlegt.
    Mylnikow hörte sich den hastigen Bericht des Agenten an, befahl ihm, auf das Eintreffen der Experten zu warten, setzte sich an den Schreibtisch und zeichnete sein Wappen – um einen klaren Kopf zu bekommen und um seine Nerven zu beruhigen.
    Um die Nerven des Hofrats war es in letzter Zeit übel bestellt. Im medizinischen Befund hieß es: »Allgemeine Neurasthenie durch Überlastung; Herzbeutelerweiterung; aufgeschwemmte Lungen und teilweise Beschädigung des Rückenmarks, die möglicherweise zur Lähmung führen kann.« Lähmung! Für alles im Leben muß man zahlen, meist mehr, als man denkt.
    Nun hatte er einen Erbadelstitel, leitete eine hochwichtige Abteilung, hatte sechstausend Rubel Gehalt, ja obendrein noch dreißigtausend nichtabrechnungspflichtige Rubel zur freien Verfügung – der Traum eines jeden Beamten! Aber die Gesundheit war hin, und was sollte ihm nun alles Gold der Welt? Allnächtlich plagte ihn Schlaflosigkeit, und wenn er doch einschlief, war es noch schlimmer: böse Träume, arge, teuflische Träume. Er erwachte zähneklappernd, in kalten Schweiß gebadet. In jeder Ecke schien es unheilvoll zu rascheln, er vernahm ein Kichern, undeutlich, aber voller Hohn, oder ein plötzliches Heulen. In seinem sechsten Lebensjahrzehnt schlief Mylnikow, der Schrecken aller Terroristen und ausländischen Spione, nur noch bei brennender Öllampe. Aus Frömmigkeit und um das Dunkel aus den Ecken zu vertreiben. Das rauhe Leben hatte den Graukopf zermürbt.
    Voriges Jahr hatte er in Ruhestand gehen wollen – Geld war zum Glück genug da, ein Haus hatte er sich auch bereits gekauft, in einer schönen, pilzreichen Gegend am Finnischen Meerbusen. Doch dann kam der Krieg, und der Chef der Sonderabteilung,der Direktor des Departements und der Minister selbst hatten ihn gebeten: Enttäuschen Sie uns nicht, Jewstrati Pawlowitsch, lassen Sie uns in schwerer Zeit nicht im Stich. Wie konnte er da nein sagen?
    Der Hofrat zwang seine Gedanken, zum Wesentlichen zurückzukehren. Er zupfte an seinem langen Kosakenschnurrbart, dann zeichnete er zwei Kreise, dazwischen eine Wellenlinie und darüber ein Fragezeichen.
    Zwei Fakten, jeder für sich mehr oder weniger klar.
    Also, Wassili Maximenko war gestorben, sein Herz, geschwächt durch den schweren Dienst, hatte versagt. Das kam vor.
    Der ehrenwerte Bürger Komarowski, weiß der Teufel, wer er war (die Moskauer hatten ihn vorgestern bei einem konspirativen Treffen von Sozialrevolutionären erwischt), hatte sich erhängt. Auch so etwas kam vor, namentlich bei neurasthenischen Revolutionären.
    Doch daß zwei Existenzen, die irgendwie miteinander zusammenhingen, zwei irdische Jammertäler, die sich sozusagen überschnitten, plötzlich gleichzeitig abbrachen? Das war sehr merkwürdig. Was ein »Jammertal« war, davon hatte Mylnikow nur eine verschwommene Ahnung, aber das Wort gefiel ihm – er stellte sich oft vor, wie
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