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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche
Autoren: B Akunin
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Streichholz an, hielt es an Brief und Kuvert, warf beides zu Boden und verrieb die Asche mit dem Absatz. Dann ging er weiter.
    Das zweite Schreiben kam von Oberst Akashi, dem Militärattaché in Europa, und bestand nahezu vollständig aus Zahlen und Daten. Der Stabskapitän überflog es nur kurz – er hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis.
    Er verbrannte auch dieses Blatt und schaute auf die Uhr, die er sich dazu dicht vor die Nase hielt.
    Dabei erlebte Rybnikow eine unangenehme Überraschung. Im Spiegelglas seines japanischen Chronometers erblickte er einen Mann mit Melone und Spazierstock. Dieser Herr hockte auf dem Trottoir und suchte es ab – genau an der Stelle, wo der Stabskapitän soeben den Brief seines Vaters verbrannt hatte.
    Der Brief war kein Problem, er war restlos verbrannt, etwas anderes beunruhigte Rybnikow. Er hatte schon mehrfach in sein raffiniertes Uhrglas geschaut und dabei nie jemanden hinter sich entdeckt. Woher also kam dieser Mann plötzlich?
    Rybnikow lief weiter, als sei nichts geschehen, und sah nun häufiger als zuvor auf die Uhr. Doch wieder war niemand hinter ihm. Die schwarzen Brauen des Stabskapitäns legten sich besorgt in Falten. Das Verschwinden des neugierigen Herrn verunsicherte ihn noch mehr als dessen Auftauchen.
    Gähnend bog Rybnikow in einen Torweg ein, von wo er in einen menschenleeren gepflasterten Hof gelangte. Er warf einen Blick auf die Fenster (sie waren leblos, unbewohnt), hörte plötzlich auf zu humpeln und rannte zum Bretterzaun, der den Hof vom Nachbargrundstück trennte. Er war sehr hoch, doch Rybnikow legte eine sagenhafte Geschmeidigkeit an den Tag – er sprang fast einen Sashen 2 hoch, klammerte sich am Zaun fest und zog sich hoch. Er hätte mühelos auf die andere Seite springen können, beschränkte sich jedoch darauf, hinüberzuschauen.
    Der Nachbarhof war bewohnt – auf dem mit Kreide bemalten Asphalt hüpfte ein dürres Mädchen auf einem Bein. Ein anderes, kleineres, stand daneben und sah zu.
    Rybnikow kletterte nicht hinüber. Er sprang hinunter, rannte zurück zum Torweg, knöpfte seine Hose auf und pinkelte.
    Bei dieser intimen Verrichtung traf ihn der Mann mit der Melone und dem Spazierstock an, der im Trab in den Torweg gerannt kam.
    Er blieb wie angewurzelt stehen und erstarrte.
    Rybnikow war verlegen.
    »Pardon, es war sehr dringend«, sagte er, schüttelte sich ab und gestikulierte dabei mit der anderen Hand. »Typisch russische Schweinerei, viel zu wenig öffentliche Latrinen. In Japan, heißt es, gibt es auf Schritt und Tritt Aborte. Deshalb können wir die verfluchten Affen auch nicht schlagen.«
    Der eilige Herr blickte mißtrauisch, doch als er sah, daß der Stabskapitän lächelte, zog er seine Lippen unter dem dichten Schnurrbart ebenfalls ein wenig auseinander.
    »Ein Samurai, wissen Sie, wie der kämpft?« schwadronierte Rybnikow weiter, während er sich die Hose zuknöpfte und näher kam. »Unsere Soldaten scheißen den Schützengraben bis obenhin voll, der Samurai dagegen, der schlitzäugige Affe, der frißt nichts als Reis und hat natürlich Verstopfung. So muß er eine ganze Woche nicht auf die Latrine. Aber wenn er abgelöst wird und ins Hinterland kommt, dann sitzt er zwei Tage lang auf dem Klo.«
    Sehr zufrieden mit seinem Witz, brach der Stabskapitän in kreischendes Gelächter aus, wobei er den anderen, als wollte er ihn einladen, seine Heiterkeit zu teilen, mit dem Finger leicht in die Seite stieß.
    Der Schnurrbärtige lachte nicht mit, er gluckste nur eigenartig, griff sich an die linke Brust und sackte zu Boden.
    »Mamotschki«, sagte er mit überraschend dünner Stimme. Und noch einmal, ganz leise: »Mamotschki …«
    »Was ist mit Ihnen?« fragte Rybnikow erschrocken und sah sich um. »Das Herz? Ach, was für ein Unglück! Moment, ich hole einen Arzt! Augenblick!«
    Er rannte in die Gasse hinaus, dort aber hatte er es plötzlich nicht mehr eilig.
    Seine Miene war nun ganz konzentriert. Der Stabskapitän wippte auf den Absätzen, überlegte und schlug dann den Weg zurück in Richtung Nadeshdinskaja ein.
    Zweite Silbe,
in welcher zwei irdische Jammertäler
enden
    Jewstrati Pawlowitsch Mylnikow, oberster Agentenchef der Geheimpolizei, zeichnete Hammer und Sichel in ein Medaillon, zu beiden Seiten zwei Bienen, oben eine Schirmmütze und unten, auf das Band, das lateinische Motto: »studia et labora« 3 . Er neigte den fast kahlen Kopf und bewunderte seine Schöpfung.
    Das Wappen der Mylnikows hatte der Hofrat selbst
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