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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition)
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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vom Parkplatz runter und wähle die Straße, die von unserer Siedlung in die Felder führt. Meine Route habe ich mir vorher zurechtgelegt und ich hoffe sehr, dass ich mein Ziel mit dem Wagen erreichen kann. Aus dem Seitenfenster sehe ich den flackernden Schein eines großen Feuers. Meine Vergangenheit. Ein großer Teil meines Lebens. Meine Liebe. Ich starte im CD-Player ›Sympathy for the devil‹ und drücke auf die Repeat-Taste.

    Ich habe versucht, auf der Ladefläche zu schlafen. Wieder und wieder haben mich Geräusche und Albträume geweckt, so dass ich am Morgen froh bin, die Nacht hinter mir zu haben. Ich esse etwas, weil ich weiß, dass man essen muss, um bei Kräften zu bleiben. Anschließend nehme ich eine Flasche Wasser, meine Kulturtasche und eine Rolle Klopapier unter den Arm und will die Seitentür öffnen. Ich zögere, lege alles beiseite und öffne die Tür mit dem Beil in der Hand. Frische Luft strömt herein und mit ihr Kälte, die mich frösteln lässt.
Letzte Nacht bin ich rückwärts in einen Feldweg gefahren. Vor mir befindet sich ein Knick, dahinter ein Ackerfeld, grau und trostlos, wie es Mitte Dezember eben aussieht. Das Herbstlaub hat seine kräftige Farbe verloren, es ist feucht, aber noch nicht frostig. Ich spähe nach links und rechts, kann aber keinen von Ihnen sehen. Schnell ziehe ich mir Schuhe über und gehe drei, vier Schritte, um meine Morgentoilette hinter mich zu bringen. Alles geschieht hektisch, alles unter Angst. Ich habe wenig Hoffnung, dass es Orte oder einmal eine Zeit geben wird, wo es besser sein könnte. Daran glaube ich nicht. Auch wenn ich es gerne würde. Aber hatte ich damals geglaubt, dass es möglich sein könnte, dass ›tot‹ nicht gleich ›tot‹ bedeutet? Damals, auf meiner Feldforschung, lange bevor das hier passiert war? Natürlich nicht …

    ›Religionskonzepte‹ hieß das Seminar bei Harschung, dem Professor für Süd-Ost-Asien und Religionen. Im Seminarraum der Afrikanistik waren wir ungefähr 15 Studierende. Beide Fenster standen halb offen, der Lärm des Straßenverkehrs von der Rothenbaumchaussee drang durch den Hinterhof hinein und Harschung wurde gerade die Frage gestellt, ob er einmal ein Phänomen erlebt oder beobachtet hatte, welches sich rational nicht erklären ließ. Er wartete mit einer Antwort, fuhr sich durch seinen Bart und lächelte verschmitzt.
»Wissen Sie, diese Frage wird unter Ethnologen eigentlich immer erst nach ein paar Bierchen erörtert. Ich will Ihnen da nicht vorgreifen.«
Wir lachten, vermuteten aber doch mehr hinter seinem Verhalten und hakten nach. Harschung nickte.
»Jeder von Ihnen, der sich mit Glaubenskonzepten auseinandersetzt und sich im Feld befindet, wird unerklärbaren Phänomenen begegnen. Es gibt kein Patentrezept für den Umgang damit. Arbeiten Sie sorgfältig und akribisch – und vor allem, sollten sie etwas erlebt haben, dass Sie schier verzweifeln lässt, dann verstauen Sie es auf dem Dachboden oder in Ihrem Hirnhinterstübchen. Schließen Sie gut ab, hängen den Schlüssel an einer nicht sichtbaren Stelle auf und vergessen ihn. Ebenso Ihre Aufzeichnungen darüber. Legen Sie sie weg, vergessen Sie sie. Und lassen Sie nicht all zu viele solcher Phänomene zu, ansonsten haben Sie keinen Stauraum mehr und es wird Ihnen Probleme bereiten, glauben Sie mir.«
Harschung, ein netter, sehr kompetenter und humorvoller Professor, erreichte uns alle mit dieser Ansprache, und 2005 setzte ich seinen Rat auf meiner eigenen Feldforschung um.

    Ich führte meine Forschungen in jenem Jahr auf Bali durch. Drei Monate hatte ich vor Ort Zeit dafür. Sicher, das waren ganz andere Maßstäbe, als vergangene Feldforschungen, aber die Zeiten hatten sich geändert und niemand konnte eine ambitionierte Feldforschung über ein Jahr finanzieren. Auch das Ziel überraschte. Bali, eine indonesische Insel mit nahezu einer Million Touristen jährlich … was sollte es da für Ethnologen zu erforschen geben?
Doch ich hatte mein Ziel mit Bedacht gewählt. Es war eine gut erschlossene Insel, ich beherrschte durch mein Nebenfach Austronesistik die Sprache und auf Bali lebten die Bali-Aga, eine autochthone Ethnie, die ihre Verstorbenen unter freiem Himmel bestatteten, indem sie sie einfach aufbahrten. An diesem Phänomen wollte ich divergierende Raumkonzepte im Umgang mit dem Tod erforschen.

    Meine Ankunft begann katastrophal. Meine Kontaktperson erschien nicht am Flughafen, und nachdem ich mehrere Stunden gewartet und telefoniert hatte,
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