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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition)
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Strichfiguren, die sich an den Händen hielten und einen Drachen steigen ließen. Omi stand in unsicherem Schriftbild quer über das Gemälde. Eine angebrochene Flasche Sprudel mit einem halbvollen Glas stand neben dem Bett und zog mich in ihren Bann. Ein Beweis des eben noch anwesenden Lebens, sei es noch so schwach gewesen, in diesem Raum. Sie hatte von dem Wasser getrunken, das dort stand. Und nun würde sie nie wieder Wasser trinken.
    Ich schluckte und folgte dem Gespräch zwischen Klaas, dem hauptberuflichen Bestatter und der Hospizstationsleitung. Formalitäten wurden übergeben. Darauf konnte ich mich nicht konzentrieren, mein Blick blieb auf dem Gesicht der frisch Verstorbenen haften und ich lauschte meinen Empfindungen. Die Stationsleitung verließ das Sterbezimmer, Klaas erklärte mir geduldig den nun folgenden Ablauf. Wie die Kissen und Bezüge in dem Transportsarg zu drapieren waren, wie wir die Verstorbene, es wurde sehr viel Wert darauf gelegt, nicht von einer Leiche zu sprechen, vom Bett in den Sarg zu transferieren war und was währenddessen passieren könne. Dass Luft aus dem Körper beim Anheben entwich, die nicht angenehm riechen würde, dass die Verstorbene dadurch auch Laute oder Geräusche von sich geben könne, die wie ein Stöhnen klängen. Ich verstand und war bereit. Wir schoben den Wagen mit dem Sarg neben das Bett und das Bett ein Stück von der Wand ab, damit Klaas in dem Spalt genügend Platz zum Heben bekam.
    »Bereit?«, fragte Klaas am Kopfende.
    »Ja«, antwortete ich und hob die Verstorbene auf sein Nicken hin an den Beinen hoch.
    Ihre Beine waren hager, kalt und starr. Im ersten Moment verharrte ich, weil es mich, trotz aller theoretischen Vorbereitungen, berührte, eine Tote in den Händen zu halten. Klaas legte sie wieder ab.
    »Komm mal her.«
    Ich ging zu ihm.
    »Hier, halt einmal ihre Hand.« Er nahm vorsichtig die Hand und reichte sie mir. Ich sah, wie sein Daumen ihren Handrücken streichelte. »Oder, Frau Grundmann? Sie haben doch bestimmt nichts gegen? Das ist Laura, die arbeitet heute zum ersten Mal mit uns. Sag ihr ruhig Hallo, Laura.«
    »Hallo«, sagte ich dünn, von der Situation gewissermaßen überfahren. Ich nahm die Hand und gemeinsam streichelten wir sie, während Klaas weiter mit der toten Frau Grundmann redete. Es war fremd, aber auch gut für mich.
    »Ich bin soweit«, signalisierte ich und begab mich wieder auf meinen Platz am Fußende.
    Wir hoben sie hoch, setzten sie über und betteten sie vorsichtig in den Sarg. Das Gewicht ihres Körpers überraschte mich. Danach kleideten wir den Sarg mit den von der Familie gewünschten Andenken aus, ehe wir den Deckel draufsetzten. Klaas ging mit prüfendem Blick durchs Zimmer und durch seine Unterlagen, löschte das Licht und wir schoben den Sarg auf den Gang zum Fahrstuhl. Auf dem Weg dorthin begegneten wir einem Hospizbewohner, er nickte uns zu, Klaas grüßte freundlich zurück. Ich konnte nicht grüßen. Zu makaber schien mir die Situation, jenen zu grüßen, der hier auf seinen eigenen Tod wartete. Verstohlen sah ich zu ihm, unsere Blicke trafen sich und ich erinnerte mich wie vom Schlag getroffen an Marcel und unser beider Geheimnis. Damals, der geteilte Tod im Schwimmbad. Und gewissermaßen teilte ich mir auch mit diesem Mann den Tod. Er erwartete ihn hier und ich holte ihn ab. Und irgendwer würde in Kürze den Mann abholen, um ihn zur Welt der Toten zu geleiten.
    Die Welt der Toten. Ein Vorraum war bestimmt die Kühlhalle auf dem Bahrenfelder Friedhof, zu der wir bei Regen und in der Dämmerung durch den Hamburger Feierabendverkehr fuhren. Meine erste Überführung. Es fühlte sich sonderbar an, eine Tote – Verzeihung, eine Verstorbene – bei sich im Auto zu haben. Ich redete mir all meine Unsicherheiten aus dem Leib. Klaas hatte mir später einmal anvertraut, dass er noch nie jemanden so ohne Punkt und Komma hatte reden hören. Nachdem er mich besser kennengelernt hatte, wunderte es ihn umso mehr.
    Klaas stieg aus. Er öffnete ein verschlossenes Tor zu einem Seitenweg auf den Friedhof, fuhr ungefähr 100 Meter zu einem kleinen, unscheinbaren Backsteingebäude inmitten eingewachsener Gräber. Er musste den Wagen wenden, um rückwärts an das abgeschlossene Eisentor zu fahren. Wir stiegen aus, er öffnete das doppeltürige Tor, ich den Wagen. Ich erschrak, als mir im Regen die eisige Kälte eines Luftzugs in den Rücken fuhr.
»Ganz schön kalt da drin, was?«
Klaas grinste mich an.
Ich nickte. Zusammen
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