Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)

Titel: Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Autoren: Barb J. C. Hendee
Vom Netzwerk:
großen Teil ihrer Freizeit, und außerdem fanden an diesem Ort Versammlungen statt. Als Kind hatte Wynn oft vor dem großen Kamin gesessen und das Feuer darin beobachtet.
    An diesem Abend hielten sich hier gut zwanzig Weise auf, die keinen besonders hohen Rang bekleideten. Die meisten von ihnen waren Initiaten in schlichten hellbraunen Umhängen, und hinzu kamen einige Lehrlinge in den Farben ihrer jeweiligen Orden. Es ließ sich kaum feststellen, ob Weise mit Reisendem-Status unter den Anwesenden waren. Es befanden sich ohnehin nur wenige von ihnen im Schloss, denn die meisten von ihnen waren, wie es ihrem Status entsprach, auf Reisen.
    Fast alle sahen auf, als Wynn und Domin il’Sänke hereinkamen. Niemand rief einen Gruß, und Wynn wünschte sich zurück in ihr Zimmer.
    Man hielt sie nicht nur für verwirrt und halb verrückt, sondern auch für überheblich. Selbst Weise konnten neidisch und eifersüchtig sein, und immerhin war sie mit etwas heimgekehrt, das als größte Entdeckung in der Geschichte der Gilde galt. Schlimmer noch: Allein die Domins und Premins kannten Einzelheiten der Entdeckung.
    Wynn hatte hier nur wenige Freunde, wenn überhaupt, und es war ihr längst zur Angewohnheit geworden, allein zu sein. Ihr Blick verweilte kurz auf einem gebückten jungen Weisen, der das graue Gewand eines Katalogisierers trug.
    Der Nervöse Nikolas Clumsarm saß abseits der anderen in der rechten Ecke des Gemeinschaftsraums und las. Selbst im Sitzen waren seine Schultern krumm und nach vorn geneigt, als wollte er in sich selbst versinken. Glattes, ungekämmtes Haar fiel ihm ins bleiche Gesicht und bedeckte fast die Augen.
    Wie konnte er so lesen? Wynn kannte seinen Namen nur, weil sie ihn von anderen gehört hatte, ohne jemals mit ihm gesprochen zu haben. Er schien nur zwei Freunde zu haben, zwei junge Reisende, mit denen er manchmal herumzog. Die meiste Zeit über blieb er allein, wie Wynn.
    Il’Sänke schenkte all dem Starren keine Beachtung und ging an den Tischen vorbei zum Kamin.
    »Wir setzen uns ans Feuer und lassen uns Tee kommen«, sagte er. »In der Hoffnung, dass er etwas stärker ist als die Brühe, die ihr hier im Norden trinkt.«
    Wynn seufzte und wollte ihm folgen, als eine Stimme wie knirschender Granit erklang.
    »Ghassan, du bist zurück.«
    Wynn zuckte zusammen und wagte es nicht, sich umzudrehen.
    Im Torbogen stand der breite Domin Hochturm. Es war nicht sein Familienname. Zwerge benutzten lieber den Vornamen, meistens ins Numanische übersetzt, damit die ungeschickten Menschen nicht über die komplizierten Worte der Zwergensprache stolperten.
    Wynn hatte alte Geschichten aus den Fernländern gelesen, in denen Zwerge sehr herablassend beschrieben wurden. Sie war in Calm Seatt aufgewachsen und wusste es besser.
    Hochturm war ein beeindruckender Klotz, trotz allem, was Mythen über Zwerge behaupteten. Obgleich kleiner als viele Menschen, konnten die meisten Zwerge Wynn direkt in die Augen sehen, und was ihnen an Körpergröße fehlte, machten sie an Breite gut. Hochturm musste sich halb drehen, um durch den Torbogen zu passen, der für einen Menschen genug Platz bot. In den Schultern war er mehr als anderthalb Mal so breit wie ein Mensch.
    So stämmig und untersetzt er auch sein mochte, unter seinem grauen Gewand deutete nichts auf Fett hin. Von grauen Strähnen durchsetztes rotes Haar reichte ihm auf die Schultern und schien mit dem dichten, am Ende geflochtenen Bart zu verschmelzen. Seine dunklen Augen wirkten wie Kohlen im breiten, hellen und leicht sommersprossigen Gesicht. Wenn Wynn ihn sprechen oder seine schweren Schritte hörte, dachte sie immer an eine wandelnde Säule aus Granit.
    Sie hätte es nicht laut gesagt, aber insgeheim vertrat sie die Ansicht, dass lange, einfache Umhänge aus Wolle der Zwergengestalt kaum schmeichelten. Die Angehörigen von Hochturms Volk wirkten beeindruckend in Kniehosen, mit Eisen beschlagenen Stiefeln und dicker Lederkleidung.
    »Zurück?«, wiederholte il’Sänke.
    Hochturm kam wie eine Kriegsmaschine herein, langsam, aber unaufhaltsam, und niemand hätte es gewagt, ihm in den Weg zu treten. Er warf Wynn einen Blick zu, in dem kaum verhüllte Missbilligung zum Ausdruck kam, verschränkte dann die dicken Arme und sah il’Sänke an. Der Meisterkatalogisierer machte keinen Hehl aus seiner Abneigung dem sumanischen Weisen gegenüber.
    »Ja, ich habe gesehen, wie du in die Stadt gegangen bist«, sagte Hochturm. »Und ich habe mich gefragt, ob du Jeremy oder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher