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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden
Autoren: Moritz Uslar
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Seifenablagen) 2,15 Euro. Faschingskostüme gab es in den Größen 94 bis 104. Am Reiseatlas DDR mit den sozialistischen Bruderländern Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Ud SSR klebte kein Preis. Der Laden handelte außerdem mit Groschenromanen (Tauschkurs 1 zu 1 plus 20 Cent). Erst jetzt verstand ich, dass das Geschäft, ein Kramladen oder Import-Export-Laden, Siggi’s Laden hieß: So stand es jedenfalls auf einer Papptafel in der Ladentür. Siggi’s Laden empfand ich insofern als Geschäft der Zukunft, weil es hier nichts und gleichzeitig alles zu kaufen gab: Nicht die Nachfrage, sondern das Angebot bestimmte hier das Angebot. Das waren, grob vereinfacht, die Zustände in der DDR gewesen, und so hatte man sich auch die Zukunft des Einzelhandels in der ostdeutschen Kleinstadt vorzustellen.
     
    Die Geschäftsstraße, die mit Siggi’s Laden begann, hieß Spandauer Straße. Kleine, bunte, pusselige Ladenwelt: Laden neben Laden. Der deutsche Einzelhandel.
    Es gab einen Bäcker, Fleischer, Schuhladen, Friseursalon. Die Häuser waren hier höher und bunt gestrichen. Auch einige herrschaftliche Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert standen dazwischen.
    Ein Marktplatz mit einem klassizistischen, geschätzt zweihundert Jahre alten Rathaus, rosafarben, renoviert und angestrahlt. Rechts neben dem Rathaus stand eine Eiche, von einer Rundbank umgeben. Paar Schritte hin zur Eiche – zu einer Eiche mit Rundbank musste man doch hingehen: Auf der Bank war ein Schild mit der Inschrift »Friedenseiche, gepflanzt 1871« angebracht (lustig, 1871, das war doch das friedliche Jahr, in dem wir den Krieg gegen Frankreich gewonnen haben). Da stand außerdem ein Glaskasten mit amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Oberhavel: Am 7. Juni ist Europawahl. Da bitte hingehen. Euer Bürgermeister. Gewarnt wurde außerdem vor dem mutmaßlichen Terroristen Carl C. Breininger. Konnte sein, dass der schoss, wenn man den an der Jacke festhielt.
     
    Hier war das Zentrum.
    Und hier fuhren auch Autos.
    Das erste Auto, das mir in Oberhavel entgegenkam, war ein kleines, blaues Auto. Es saßen zwei Männer auf Fahrer- und Beifahrersitz. Beide trugen Baseballkappen. Es klebte der Schriftzug »Pitbull Germany« auf der Heckscheibe. Das Auto fuhr normal schnell. Keiner der beiden Männer guckte.
     
    Hinter der Spandauer Straße stieß ich auf die Kirche der Kleinstadt, aus uralten Feldsteinen erbaut, mit einem mächtigen, viereckigen Turm. Die Kirche stand schrägauf einer Wiese, die von einem viereckigen Kirchplatz umgeben war, eingefasst von Lindenbäumen und zweistöckigen Häusern. Scheinwerfer strahlten sie an. Ein Gegenstück zur Kirche stellte, was Größe, Kraft und Herrlichkeit anging, eine riesenhafte Linde dar. Sie mochte fünfhundert Jahre alt sein.
    Das sah jetzt alles, besonders im Glanz der Dunkelheit, sehr hübsch aus, hübscher, heiler, pittoresker, als man sich einen Kirchplatz in der ostdeutschen Kleinstadt vorgestellt hatte. Die Spandauer Straße endete an einer Ampelkreuzung mit Hinweisschildern in die umliegenden Kleinstädte.
     
    Auf dem Bürgersteig kamen mir nun zwei Jungs entgegen, harmlos, mit wuscheligen Haaren, großen Jacken, Turnschuhen. Ich hielt die Jungs an, fragte:
»Jungs, Entschuldigung. Gibt’s hier was, wo man um die Zeit noch ein Bier trinken kann?«
Die beiden berieten sich kurz.
Dann sagte einer: »Gaststätte Schröder. Kann man sich wirklich nicht beschweren. Gutes Essen, faire Preise.«
    Die Gaststätte Schröder lag auf der Spandauer Straße Ecke Kirchplatz in einem zweistöckigen, oben dunkelgelb, unten orangegelb gestrichenen Haus.
    Offensichtlich und für jeden sofort erkennbar: das erste Lokal am Ort.
    Das Schild auf dem Gehweg empfahl Gulasch mit Rotkohl für 4,85 und Schnitzel mit Brot für 2,70 Euro. Die hölzerne Tür hatte die Form eines Bierfasses. Schon draußen konnte man sehen, dass das Bier im Lokal keine sieben Minuten brauchen und die Klos geputzt sein würden.
    Fünf Lampen strahlten das Schild mit der altdeutschen Schrift an: An der Hauswand waren außerdem Schilder mit den Aufschriften »Wernesgrüner, Pilslegende, Brautradition seit 1436« und »Premiere Sportsbar« und, als blauweißer Leuchtkasten am Hauseck, »Hertha BSC Fantreff« angebracht. Im Fenster hing die Ankündigung »Jeden Freitag Preis-Skat«. Auf einem zweiten Schreiben stand: »Die OVG informiert: Hertha BSC Bundesliga-Express-Bus Sonderfahrt. Wir bringen Euch ins Olympiastadion und auch wieder
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