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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden
Autoren: Moritz Uslar
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hatte in Berlin noch eine Verabredung und wollte schnell nach Hause –, kam ich zum ersten Mal in meine Kleinstadt, fuhr ich zum ersten Mal in meine Stadt Overhavel hinein.

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3 Western
    Das gibt es ja angeblich nicht oft, dass man sofort weiß, dass man am richtigen Ort angekommen ist: Hier wusste ich das sofort.
    Gleich ein rundherum gutes Gefühl (vielleicht kam es auch daher, dass ich mir, der ich mich am Ende eines langen Arbeitstages wähnte, in der letzten Tankstelle vor der Kleinstadt ein Bierchen gekauft, es im Wagen geöffnet hatte und die letzten Kilometer mit der geöffneten Büchse zwischen den Beinen in die Stadt hineingefahren war. Prost).
    Was genau war gut?
     
    Ich war schnell von der Autobahn runter und lange Landstraße gefahren, nicht die berühmten brandenburgischen Alleen, sondern durch Waldwege, auf denen im Scheinwerferlicht immer wieder Warnschilder auftauchten, die scharfe Rechts- und Linkskurven anzeigten und das Runterschalten vom vierten in den zweiten Gang notwendig machten.
    Nach etwa einer halben Stunde fuhr ich immer noch Landstraße. Ich hielt es andauernd für möglich, dass mir das Benzin ausging, die Nadel aber zeigte konstant einen dreiviertel vollen Tank an. Landstraße: Immer die richtige Straße, wenn man weit weg, wenn man wirklich rauskommen und vom Weg abkommen mochte.
     
    Links kam eine große Koppel, und da stand ein Pferd. Ich glaube, es war ein Pferd. Dann kamen Kühe, und dann lag links von der Fahrbahn etwas, das wie ein zerfallenes, von Gestrüpp überwachsenes Backstein-Gehöft aussah. Der Wald war ein ganz anderer, als man Wälder in Bayern oder sonst wo in West-Deutschland kannte. Fast keine Bäume mehr, Stangen eher. Im Vorbeifahren sah der Wald, der der typische brandenburgische Kiefernwald war, wie im Horrorfilm The Blair Witch Project aus.
    Und dann musste ich runter auf Fünfzig.
    Ich hatte gedacht, ich sei den falschen Weg gefahren, und dann war es doch der richtige gewesen: Etwa zehn Minuten vor der von mir erwarteten Zeit war ich in der Kleinstadt angekommen. Und nun stand ich, obwohl gerade erst angekommen, gleich mitten drin in der Stadt.
    An einer Häuserecke parkte ich mein Auto.
    Von hier aus stieg die Hauptstraße in die eine Richtung an, in die andere Richtung fiel sie ab. Die Häuser waren braun und flach, und so weit ich gucken konnte, blieben sie bräunlich, gräulich und flach. Es gab keinen Plattenbau. Stattdessen machte die Straße den Eindruck einer merkwürdig geschlossenen und heilen Kulisse, als hätte es hier ein Ort, der noch aus der Zeit vor den zwei Kriegen stammte, ohne die üblichen Schäden und ohne sich groß zu verändern, rüber in die Gegenwart geschafft.
     
    Das Haus, vor dem ich meinen Wagen geparkt hatte, war bis auf Kniehöhe mit roten Fliesen verkleidet. Dann kam der graubraune, für die DDR typische Spritzbeton. Die Fenster waren mit Holzrollläden verschlossen. Dann fing auf nicht mal zwei Meter Höhe ein auffällig steiles und hohes, vor Jahrzehnten zum letzten Mal gedecktes Ziegeldach an. Mein erstes Haus in Oberhavel hatte also wenig Haus und viel Dach und gehörte zu den nicht renovierten Häusern im Osten.
    Es stand nirgendwo ein Mond. Es war so geil dunkel an dieser Ecke, wie ich das aus der Großstadt nicht kannte. Dunkelheit, fand ich, stand der Kleinstadt gut.
    Und es war ganz wunderbar still. Keine Regung, Bewegung, keine Menschenseele. Man hört – in Momenten wie diesen – dann ja echt Hundebellen. In der Ferne zog jemand ein Auto in wenigen Sekunden von null auf achtzig hoch. Nicht weit von hier mussten Teenager auf der Straße sein: Lachen, Flaschenklirren.
    Ich verschloss den Wagen, lehnte mich mit dem Rücken an mein Oberhavel-Haus, einen Schuh auf dem Gehsteig, einen Schuh gegen die Hauswand gestellt, die gestreckten Arme mit den Handflächen an den Spritzbeton gelegt, und schaute abwechselnd links und rechts die Hauptstraße hinunter.
    Ankommen in Oberhavel.
    Das Haus im Rücken, die Hände auf dem Spritzbeton, den Gehsteig unter mir, versuchte ich runterzufallen und reinzusinken in die Kleinstadt.
    Hammerharte Übung So stand ich volle fünf Minuten lang.
    Nach etwa zwei Minuten wechselte ich das Standbein. Ich kam mir vor wie in einem gottverdammten Western-film. Fehlte nur noch, dass ich mir einen Zigarillo ansteckte oder einen Hut aufsetzte (mein Hut, der war übrigens Pierrot Le Fou –, nicht James-Stewart-in- The Man who Shot Liberty Valance – mäßig gemeint).
    Fünf Minuten sind
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