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Des Teufels Alternative

Des Teufels Alternative

Titel: Des Teufels Alternative
Autoren: Frederick Forsyth
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keinen Widerspruch zu. Munro war durchaus nicht überrascht. Sein Name war offenbar nur durch einen Irrtum auf die Gästeliste gelangt. Dieser Irrtum war bemerkt worden, und er wurde nun aufgefordert, den Saal zu verlassen.
    Aber der Major marschierte nicht zum Hauptausgang voraus, sondern führte Munro durch den hohen, achteckigen St.-Wladimir-Saal, eine Holztreppe hinauf und durch ein bronzenes Gitter auf den im Sternenschein liegenden Oberen Erlöserplatz hinaus.
    Der Mann bewegte sich selbstbewußt und unbekümmert durch Korridore und Gänge, die er offenbar gut kannte, während sie den meisten gewöhnlichen Sterblichen verborgen bleiben.
    Munro folgte dem Uniformierten über den Platz und in das Terjem-Palais. An allen Toren standen schweigend Wachtposten; alle Türen öffneten sich vor dem Major und fielen hinter Munro ins Schloß. Sie durchquerten die Eingangshalle und den anschließenden Kreuzsaal, an dessen Rückwand der Major vor einer Tür stehenblieb, um anzuklopfen. Als eine barsche Stimme »Herein!« rief, öffnete er die Tür, trat zur Seite und ließ Munro eintreten.
    Der dritte Raum des Terjem-Palais, des ehemaligen Wohnsitzes der weiblichen Mitglieder der Zarenfamilie, ist der Thronraum: das Allerheiligste der Zaren, der unzugänglichste aller Räume. Der in Rot und Gold gehaltene Raum mit seinen Mosaiken, dem Parkettboden und dem hochflorigen burgunderroten Teppich ist luxuriöser, kleiner und behaglicher als die meisten anderen Räume. Hier hatten die Zaren völlig ungestört arbeiten oder Gesandte empfangen können.
    Maxim Rudin, der aus dem Bittstellerfenster gestarrt hatte, drehte sich um, als Munro hereinkam.
    »Ah, Mr.   Munro, Sie verlassen uns also, wie ich höre.«
    Vor 27   Tagen hatte Munro ihn zum erstenmal gesehen, in seiner Privatwohnung im Arsenalgebäude, im Schlafrock und mit einem Glas Milch in der Hand. Jetzt trug er einen erstklassig geschnittenen dunkelgrauen Anzug – zweifellos aus der Londoner Savile Row – mit dem Leninorden und dem Orden »Held der Sowjetunion« auf dem linken Revers.
    »Ja, Herr Generalsekretär«, antwortete Munro. Maxim Rudin sah auf seine Uhr.
    »In zehn Minuten bin ich Ex-Generalsekretär«, stellte er fest. »Um Mitternacht ziehe ich mich offiziell ins Privatleben zurück. Sie wohl auch, Mr.   Munro?«
    Der alte Fuchs weiß genau, daß ich mich durch die Zusammenkunft mit ihm enttarnt habe, dachte Munro, und daß ich deshalb den Dienst quittieren muß.
    »Ja, Herr Generalsekretär, ich kehre morgen nach London zurück, um in den Ruhestand zu treten.«
    Rudin kam nicht auf ihn zu und streckte ihm auch nicht die Hand entgegen. Er blieb an seinem Platz stehen, auf dem einst die Zaren in diesem Raum gestanden hatten, dem Mittelpunkt aller Macht im Russischen Reich, und nickte.
    »Dann wünsche ich Ihnen alles Gute, Mr.   Munro.«
    Er drückte auf einen kleinen Onyxklingelknopf in einer Tischplatte. Die Tür hinter Munro wurde geöffnet.
    »Leben Sie wohl, Herr Generalsekretär«, antwortete Muhro. Er wandte sich bereits zum Gehen, als Rudin ihm noch eine Frage stellte.
    »Sagen Sie, Mr.   Munro, wie finden Sie unseren Roten Platz?«
    Munro blieb verwirrt stehen. Das war eine seltsame Frage an einen Mann, der sich eben verabschiedet hatte. Munro überlegte sich seine Antwort sorgfältig.
    »Er ist sehr eindrucksvoll.«
    »Eindrucksvoll, ja«, wiederholte Rudin, als wäge er dieses Wort ab. »Vielleicht nicht so elegant wie Ihr Berkeley Square, aber manchmal kann man selbst hier eine Nachtigall singen hören.«
    Munro stand reglos da – wie die Heiligen auf dem Deckengemälde über ihm. Seine Magennerven verkrampften sich. Sie war gefaßt worden und hatte bei den Verhören alles preisgeben müssen – selbst ihren Decknamen und die Geschichte mit dem alten Lied von der Nachtigall auf dem Berkeley Square.
    »Wird sie erschossen?« fragte er mit rauher Stimme.
    Rudin wirkte ehrlich erstaunt.
    »Erschossen? Warum sollten wir sie erschießen?«
    Munro empfand keine Erleichterung. Also würde die Frau, die er liebte und die er in diesen Tagen in seiner schottischen Heimat hatte heiraten wollen, in ein Arbeitslager transportiert. Das war schlimmer als der Tod. Das bedeutete, daß sie bei lebendigem Leib begraben sein würde.
    »Was haben Sie mit ihr vor?«
    Der alte Russe zog in gespieltem Staunen die Augenbrauen hoch. »Was wir mit ihr vorhaben? Nichts haben wir mit ihr vor. Sie ist eine loyale Sowjetbürgerin, eine Patriotin. Und sie hat Sie sehr gern,
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