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Des Teufels Alternative

Des Teufels Alternative

Titel: Des Teufels Alternative
Autoren: Frederick Forsyth
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diesem Hintergrund hob sich die brillante staatsmännische Leistung der Mitglieder des Politbüros um so leuchtender ab, die – unter seiner Führung – Außenminister Dmitri Rykow beauftragt hatten, in Dublin mit den Amerikanern zu verhandeln. Und diese Amerikaner, fuhr Rudin fort, hatten sich nun verpflichtet, nicht nur Getreide in bisher nie gekannten Mengen, sondern auch modernste Industrieausrüstungen zu Niedrigstpreisen zu liefern.
    Die Konzessionen der Sowjetunion in der Abrüstungsfrage wurden mit keinem Wort erwähnt. Das Zentralkomitee klatschte zehn Minuten lang stehend Beifall.
    Als nächstes Thema behandelte Rudin den Weltfrieden und erinnerte die Anwesenden an dessen ständige Gefährdung durch die territorialen Ansprüche und das imperialistische Machtstreben des kapitalistischen Westens, die gelegentlich in den Bestrebungen friedensfeindlicher Elemente innerhalb der Sowjetunion Unterstützung fänden.
    Das war zuviel. Unruhe kam unter den Zuhörern auf. Aber, so fuhr Rudin mit erhobenem Zeigefinger fort, diese heimlichen Komplicen der Imperialisten seien entlarvt und ausgemerzt worden – dank der steten Wachsamkeit des unermüdlichen Genossen Juri Iwanenko, der vor einer Woche nach langem, tapferen Kampf einem Herzleiden erlegen sei.
    Die Todesnachricht wurde mit Ausrufen des Erschreckens und mit Beileidskundgebungen für die Angehörigen des toten Genossen, dem die Rettung zu verdanken war, aufgenommen.
    Rudin bat mit einer Handbewegung um Ruhe. Er versicherte seinen Zuhörern, Iwanenko habe schon vor seinem Herzanfall im Oktober vergangenen Jahres einen fähigen Vertreter in seinem unerschütterlich loyalen Kampfgefährten Wassili Petrow gehabt, der die Aufgabe übernommen habe, als sein Nachfolger die Sowjetunion, Vorkämpferin des Völkerfriedens und der Werktätigen aller Länder, vor allen Feinden zu schützen. Auch Wassili Petrow erhielt eine Ovation.
    Da die Verschwörung der Friedensfeinde in und außerhalb der Sowjetunion zerschlagen worden sei, fuhr Rudin fort, habe die UdSSR, die seit jeher für Entspannung und Abrüstung eingetreten sei, zum erstenmal seit vielen Jahren ihre Verteidigungsausgaben verringern können. Dank der Wachsamkeit der Partei und des Politbüros und der Erfolge im Kampf gegen die Friedensfeinde könne ab sofort ein größerer Teil des Bruttosozialprodukts für die Produktion von Verbrauchsgütern und den Ausbau gesellschaftlicher Einrichtungen ausgegeben werden.
    Auch diesmal wurde zehn Minuten lang geklatscht.
    Rudin wartete, bis der Applaus abklang. Er hob die Hände und sprach leiser als zuvor weiter.
    Was ihn betreffe, sagte er, so habe er sein Bestes gegeben; und nun sei für ihn die Zeit gekommen, die Verantwortung in jüngere Hände zu legen.
    Die Menge schwieg verblüfft. Die Stille war fast mit Händen zu greifen.
    Er habe lange schwer gearbeitet, vielleicht zu lange, und auf seinen Schultern große Lasten getragen; das habe ihn Kraft und Gesundheit gekostet.
    Die Schultern des Mannes am Rednerpult sanken müde herab.
    Mehrere Stimmen riefen: »Nein … nein …«
    Er sei ein alter Mann, sagte Rudin. Was er sich wünsche? Nichts anderes, als was jeder alte Mann sich wünsche: im Winter am Kaminfeuer zu sitzen und mit seinen Enkeln zu spielen …
    Auf der Diplomatentribüne flüsterte der britische Botschaftskanzler dem Botschafter zu:
    »Er trägt verdammt dick auf, finde ich. Dabei hat er schon mehr Leute erschießen lassen, als ich Frühstückseier gegessen habe.«
    Der Botschafter zog eine Augenbraue hoch und antwortete ebenso leise:
    »Seien Sie lieber froh, daß wir nicht in Amerika sind. Dort würde er jetzt seine verdammten Enkel aufs Podium holen.«
    Und deshalb, schloß Maxim Rudin, wolle er seinen Freunden und Genossen nunmehr offen gestehen, daß er nach Auskunft seiner Ärzte nur noch wenige Monate zu leben habe. Mit dem Einverständnis des Zentralkomitees werde er darum die Bürde seines Amtes niederlegen und die ihm noch verbleibende kurze Zeit auf dem Lande und bei seiner geliebten Familie verbringen.
    Viele Frauen waren inzwischen in lautes Schluchzen ausgebrochen.
    Allerdings sei noch eine letzte Frage zu beantworten, fuhr Rudin fort. Er habe die Absicht, in fünf Tagen – am Monatsletzten – von seinen Ämtern zurückzutreten. Der Tag darauf sei der 1.   Mai. An diesem Tag werde ein neuer Mann vor dem Lenin-Mausoleum stehen und die große Parade abnehmen. Wer aber werde dieser Mann sein?
    Es solle ein Mann sein, der sich durch
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