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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord
Autoren: Helene Tursten
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Schritt auf Irene zuzugehen. Geschmeidig hüpfte Carina herab. Sie hielt den Engländer immer noch in der Rückhandposition und war vollkommen unvorbereitet, als Irene einen Schritt nach vorne machte und den Schlag mit ihren beiden Unterarmen abwehrte. Sie bekam Carinas Arm zwischen ihren beiden Unterarmen zu fassen. Ehe sich Carina noch von ihrer Überraschung erholt hatte, warf sich Irene nach rechts und zog Carina dabei mit sich. Sie legte Carina in einem regelrechten shi-ho-nage zu Boden. Das Adrenalin bewirkte, dass sie härter als nötig zupackte. Carina schrie laut auf und ließ den Engländer widerstandslos fallen. Irene bekam ihn zu fassen und hob ihn hoch.
    Glücklicherweise hatte sie noch nicht alles aus ihrer Zeit als Handballspielerin vergessen. Sie traf das Fenster neben dem Garagentor genau in der Mitte. Es lag zwei Meter über dem Zementfußboden direkt unter dem Dach. Mit einem lauten Klirren splitterte die Scheibe, und mit einem metallischen Klappern fiel der Engländer auf die Erde vor der Garage.
    Es war, als hätte das Klirren der Scheibe Carina zu neuem Leben erweckt. Sie begann sich unter Irene zu aalen und spannte ihren starken, sehnigen Körper. Carina war die stärkere von ihnen, aber Irene beherrschte Kampftechnik. Der Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, als sie versuchte, Carinas Bemühung, sich zu befreien, abzublocken. Obwohl Irene Carinas Hand in einem harten Sicherungsgriff hielt, schien diese keinen Schmerz zu empfinden. Irenes einzige Chance bestand darin, festzuhalten und den Druck zu erhöhen. Schließlich krachte es im Handgelenk und Carina schrie wie von Sinnen. Durch Carinas Gebrüll hörte Irene, wie Tommy an das verschlossene Garagentor klopfte und etwas Unverständliches rief. Anschließend hörte sie ihn davonlaufen. Sekunden später hielt ein Auto mit quietschenden Reifen vor der Garage. Irene sah Tommys Kopf und Schultern auf der anderen Seite des kaputten Fensters. Er hatte ihren Wagen unter dem Fenster geparkt und stand auf der Motorhaube. Mit dem Engländer schlug er die restlichen Glassplitter aus dem Fensterrahmen. Dann streckte er die Hand hindurch und öffnete es. Das Fenster war groß genug, um hindurchklettern zu können. In Irenes Bein klopfte es. Es tat fürchterlich weh. Ihre Kräfte ließen nach und sie brauchte dringend Verstärkung.
    Tommy zog Handschellen aus der Tasche. Mit gemeinsamen Kräften gelang es ihnen, Carina zu bändigen. Sie schrie und wehrte sich aus Leibeskräften. Sicher tat ihr das gebrochene Handgelenk fürchterlich weh, aber sie trat immer noch mit aller Kraft um sich. Schließlich fesselte ihr Tommy auch noch die Beine und setzte sich darauf.
    »Für Sie ist die Sache jetzt vorbei. Alles ist vorbei«, sagte er hart.
    Die Wirkung ließ keine Sekunde auf sich warten. Carina regte sich nicht mehr und richtete ihren Blick auf Tommy. Könnten Blicke töten, hätte sie jetzt ein viertes Opfer auf dem Gewissen gehabt. Oder ein fünftes, wenn man Nils Peterzén mitrechnete.

KAPITEL 22
    »Sie weigert sich, zu reden. Um offen zu sein, bin ich mir nicht mal sicher, ob sie hört, was ich sage.«
    Die Staatsanwältin Inez Collin sah aufrichtig bekümmert aus. Ein teurer Schuh aus Ziegenleder in einem dunklen Bordeauxton an ihrem einen Fuß wippte ungeduldig auf und nieder. Irene bewunderte die Farbsicherheit der Staatsanwältin. Die Schuhe hatten denselben Farbton wie ihr Kostüm, das aus einer Jacke und einem bis zu den Knien reichenden Rock bestand. Die professionell lackierten Fingernägel waren ebenfalls weinrot, die Bluse war aus einer schimmernden, hellgrauen Seide. Die dünnen Nylonstrümpfe nahmen den Grauton wieder auf. Phantastischerweise war dieses Grau mit der Augenfarbe der Staatsanwältin identisch. Wie machte sie das nur? Gefärbte Kontaktlinsen vielleicht? Wohl nicht! Inez Collin hatte immer dieselben grauen Augen und dasselbe stramm hoch geflochtene, platinblonde Haar gehabt. Irene bewunderte sie, weil sie gut aussehend und klug war. Aber nicht einmal sie bekam Carina Löwander klein.
    Carina schwieg wie eine Mauer. Drei Stunden am Tag trainierte sie in ihrer Zelle. Die Musik dazu kam aus einem kleinen Kassettenrekorder. Das war das Einzige, was man ihr in der U-Haft zugestanden hatte. Der gegipste Unterarm und die angebrochene Rippe schienen sie nicht weiter zu stören. Wenn die Ermittler versuchten, sie zu verhören, saß sie einfach nur mit einem abwesenden und höhnischen Lächeln auf den Lippen da und starrte leer gegen die
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