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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord
Autoren: Helene Tursten
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Scheiben. Das Ganze dauerte weniger als eine Minute. Weder das Personal noch die Patienten der Klinik hatten vermutlich etwas bemerkt.
    Irene öffnete die Tür, durch die die Männer des Bestattungsdienstes verschwunden waren. Über der Tür leuchtete ein Schild mit der Aufschrift »Notausgang«. Die Tür war aus Stahl und sehr schwer. Auf beiden Seiten gab es jedoch einen automatischen Türöffner. Irene sah hinaus ins Treppenhaus und stellte fest, dass es sich um einen späteren Anbau handeln musste. Die Jugendstilornamente, die das übrige Krankenhaus auszeichneten, fehlten hier. Die Treppenstufen waren breit und aus Stein. An der cremegelben Wand war ein schlichter Handlauf aus Eisen. Die Treppe wand sich um einen Aufzug. Dieser hatte graue Metalltüren mit kleinen Fenstern und der Aufschrift »Bettenaufzug« in schwarzen Lettern.
    Irene schloss die Tür und wandte sich an Schwester Anna-Karin, auf deren Wangen immer noch hektische rote Flecken glühten. Kraftvoll und frenetisch riss sie die Laken aus dem Bett, in dem Nils Peterzén bis vor drei Minuten gelegen hatte. Die Bettwäsche stopfte sie in einen weißen Wäschesack.
    Irene räusperte sich und sagte:
    »Schwester Anna-Karin, ich würde gerne einige Minuten mit Ihnen sprechen. Mein Name ist Irene Huss, und ich bin von der Kriminalpolizei. Es geht um den Mord an Ihrer Kollegin Marianne Svärd.«
    Die Schwester hielt inne und drehte sich blitzschnell zu Irene um.
    »Ich habe keine Zeit! Die ersten Ambulanten kommen gleich!«
    »Ambulante … was sind das?«
    »Untersuchungen, die ambulant durchgeführt werden. Zwei Koloskopien und eine Gastro. Kommen jede Minute. Und dann haben wir eine Rhinoplastik. Wahnsinn, eine Rhino an so einem Tag.«
    Diese junge Dame ist eindeutig nicht mehr Herr ihrer Sinne, dachte Irene. Fahrig und gestresst wirkte sie außerdem. Das war vielleicht nicht weiter erstaunlich, wenn man bedachte, dass ihre Kollegin in der vergangenen Nacht ermordet worden war. Irene sah ein, dass es nicht nur der gewöhnliche Stress war, sondern auch der Schock, der Anna-Karin so hin und her rennen ließ. Sie trat an die Krankenschwester heran und legte ihr behutsam eine Hand auf den Arm.
    »Ich muss mich einen Augenblick mit Ihnen unterhalten. Wegen Marianne«, sagte sie ruhig.
    Schwester Anna-Karin hielt inne. Sie ließ die Schultern sinken und nickte resigniert.
    »Okay. Wir können uns im Empfang hinsetzen.«
    Mit einer hastigen Geste zeigte sie Irene, dass sie sich auf den Schreibtischstuhl setzen sollte. Sie selbst nahm auf einem Hocker aus rostfreiem Stahl Platz.
    »Ich weiß, dass Sie Anna-Karin heißen, weiß aber weder Ihren Nachnamen noch Ihr Alter«, begann Irene.
    »Anna-Karin Arvidsson. Ich bin fünfundzwanzig.«
    »Wie lange arbeiten Sie schon in der Löwander-Klinik?«
    »Seit anderthalb Jahren.«
    »Sie sind fast ebenso alt wie Marianne Svärd und haben auch fast ebenso lange hier gearbeitet. Hatten Sie auch privat viel miteinander zu tun?«
    Anna-Karin sah aufrichtig erstaunt aus.
    »Überhaupt nicht.«
    »Nie?«
    »Nein. Doch. Einmal waren wir zusammen unterwegs, zum Tanzen. Marianne, Linda und ich.«
    »Wann war das?«
    »Vielleicht vor einem Jahr.«
    »Und dann sind Sie nie mehr zusammen weggegangen?«
    »Nein. Abgesehen von der Weihnachtsfeier. Das ist das Betriebsfest, zu dem wir eingeladen werden, ehe die Klinik über die Feiertage schließt.«
    »Kannten Sie Marianne gut?«
    »Nein.«
    »Was hielten Sie von ihr?«
    »Freundlich. Zurückhaltend.«
    »Wissen Sie etwas über ihr Privatleben?«
    Anna-Karin schien sich mit dem Nachdenken wirklich Mühe zu geben.
    »Nur, dass sie geschieden war. Sie ließ sich scheiden, ehe sie bei uns anfing.«
    »Wissen Sie etwas über ihren Ex-Mann?«
    »Nein. Doch. Er ist Rechtsanwalt.«
    »Hat sie Kinder?«
    »Nein.«
    »Wo hat sie vorher gearbeitet?«
    »Im Krankenhaus-Ost. Ebenfalls auf der Intensiv.«
    »Wissen Sie, warum sie nach der Scheidung den Arbeitsplatz wechselte?«
    Anna-Karin Arvidsson dachte nach und fuhr sich mehrmals mit den Fingern durch ihre hellen Stoppeln.
    »Sie hat nie etwas gesagt … Aber ich hatte das Gefühl, dass sie einem Mann aus dem Weg gehen wollte.«
    »Wem?«
    »Keine Ahnung. Aber das eine Mal, als wir zusammen aus waren, haben wir uns erst zu Hause bei mir getroffen. Wir aßen eine Kleinigkeit und tranken Wein. Ich fragte Marianne, warum sie im Östra aufgehört hätte, und sie antwortete: ›Ich brachte es einfach nicht fertig, ihm jeden Tag zu begegnen und so
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