Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
schleichenden preußischen Spion gefangen und ihn zum Verhör durch den General in den Hof geschleppt. Vielleicht hatte der Oberst von Veneuil Telegramme bekommen, daß er so lief.
    Währenddessen hatte Maurice seine Plauderei mit seinem Schwager Weiß und seinem Vetter Honoré Fouchard, dem Wachtmeister, wieder aufgenommen. Im trübseligen Frieden der Dämmerung lief der Zapfenstreich, weither kommend, allmählich anwachsend, mit Hörnerklang und Trommelwirbel an ihnen vorüber; aber sie hörten ihn scheinbar gar nicht. Als Enkel eines Helden der großen Armee war der junge Mann zu Chêne-Populeur einem Vater geboren, der sich vom Ruhme abgekehrt und sich auf das magere Amt eines Lehrers geworfen hatte. Seine Mutter, eine Bäuerin, war totund hatte ihn und seine Zwillingsschwester Henriette, die ihn schon von ganz klein an erzog, in der Welt zurückgelassen. Und wenn er jetzt als Freiwilliger hier stand, so war das die Folge großer Fehltritte; in wahrhaft schlaffer und nervöser Gedankenlosigkeit hatte er sein Geld im Spiel, mit Weibern und für all die andern Dummheiten des gefräßigen Paris weggeworfen, als er zum Abschluß seines Rechtsstudiums dorthin gegangen war,– das Geld, für das seine Familie sich geschunden hatte, um aus ihm einen Herrn zu machen. Der Vater war darüber hinweggestorben; der Schwester, die sich von allem entblößt hatte, war das Glück zuteil geworden einen Mann zu bekommen, den guten Kerl da, den Weiß, der lange Zeit Buchhalter in der Raffinerie Générale von Chêne-Populeur, jetzt aber Werkführer bei Herrn Delaherche war, einem der ersten Tuchweber in Sedan. Und Maurice hielt sich für wirklich gebessert, in der Nervosität, mit der er ebensosehr zu Hoffen auf Glück wie zu Entmutigung im Unglück neigte, freigebig, begeisterungsfähig, aber ohne jede Stetigkeit, jedem vorüberwehenden Windhauch unterworfen. Blond, klein, mit stark entwickelter Stirnbildung, zierlicher Nase und Kinn, einem seinen Gesicht, hatte er graue, zärtliche Augen, die manchmal etwas närrisch dreinblicken.
    Weiß war am Tage vor Ausbruch der Feindseligkeiten nach Mülhausen gelaufen, weil er dringend wünschte, dort eine Familienangelegenheit zu ordnen; und wenn er sich des guten Willens des Obersten von Vineuil bediente, um seinem Schwager die Hand drücken zu können, so kam das, weil dieser zufällig ein Onkel der jungen Frau Delaherche war, einer niedlichen Witwe, die der Tuchmacher im Jahre vorher geheiratet hatte und die Maurice und Henriette schon als kleines Mädchen gekannt, weil sie zufällig Nachbarn waren. Übrigenshatte Maurice außer dem Obersten auch in seinem Kompagnieführer Hauptmann Beaudouin einen Bekannten Gilbertes, der jungen Frau Delaherche, wiedergetroffen, einen Freund, der, wie es hieß, ihr besonders nahestand, als sie in Mézières noch als Frau Maginot, die Frau des Forstinspektors Maginot, lebte.
    »Gib Henriette einen Kuß von mir,« sagte der junge Mann, der seine Schwester leidenschaftlich liebte, abermals zu Weiß. »Sag' ihr, sie soll zufrieden sein, ich will sie endlich stolz auf mich machen.«
    Seine Augen füllten sich bei dem Gedanken an seine Torheiten mit Tränen. Sein Schwager, ebenso gerührt wie er, schnitt ihm das Wort ab, indem er sich an Honoré Fouchard, den Artilleristen, wandte.
    »Und wenn ich bei Remilly vorbeikomme, will ich zu Ohm Fouchard herauflaufen und ihm sagen, daß ich Sie gesehen habe und daß es Ihnen gut geht.«
    Der Ohm Fouchard, ein Bauer, der etwas Land besaß und das Gewerbe eines Wanderschlächters betrieb, war ein Bruder von Henriettens und Maurices Mutter. Er wohnte oberhalb Remillys auf einem Hügel, sechs Meilen von Sedan.
    »Gut!« antwortete Honoré ruhig, »Vater macht sich nichts draus, aber gehen Sie nur hin, wenn es Ihnen Spaß macht.«
    In diesem Augenblick entstand in der Richtung nach dem Hofe hin eine Bewegung und sie sahen den Herumstreicher frei, nur von einem Offizier geführt, herauskommen, den Mann, der beschuldigt war, ein Spion zu sein. Zweifellos hatte er Papiere vorgezeigt und eine Geschichte erzählt, denn er wurde einfach aus dem Lager geworfen. So von weitem war er in der wachsenden Dunkelheit schlecht zu erkennen, riesig, vierschrötig, mit rötlichem Schädel.Da schrie Maurice auf: »Honoré, sieh mal! Ich möchte fast sagen, der Preuße, der Goliath!«
    Dieser Name ließ den Artilleristen auffahren. Er strengte seine glühenden Augen an. Goliath Steinberg, der Knecht, der Mann, der ihn mit seinem Vater
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher