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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Autoren: Nils Minkmar
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Jeder kann das nachvollziehen: Das Grundgehalt des Kanzlers liegt weit unter dem eines mittleren Händlers einer deutschen Bank. Doch der böse Denkfehler dieser Aussage liegt in der Verschiebung der Kapitalarten: Man wird nicht Kanzler, um ökonomisches Kapital anzuhäufen, man genießt die Gestaltungsmacht, das politische und administrative Kapital. Politik operiert wie viele andere Subsysteme der sozialen Welt mit einer Verschleierung der Kapitalinteressen: Wir möchten keinen Kanzler, der aufs Geld schielt, sondern einen, der helfen und verbessern will, der seine eigenen Interessen hintanstellt. Darum kann er eine Forderung nach einem höheren Gehalt beispielsweise für seinen Nachfolger erheben, aber niemals für sich selbst. Da gelten dieselben Gesetze der sozialen Austauschbeziehung wie am Kunstmarkt: Ein Künstler sollte auch nicht sagen, ich male Bilder, weil ich damit so schöne runde Millionenbeträge einnehme. Und ein Arzt wird dem Patienten einen Eingriff empfehlen und erläutern, aber er wird sich nicht händereibend auf die zu erwartende Überweisung von der Krankenkasse freuen, jedenfalls nicht vor den Augen des Patienten. Aus gutem Grund nimmt die bürgerliche Gesellschaft eine Differenzierung der Kapitalsorten vor und operiert mit solchen Verschleierungen. Steinbrück plädierte eigentlich für eine Stärkung des Staates, verteidigte die Klasse der professionellen Politiker und forderte eine entsprechende, auch ökonomische Anerkennung der Rolle derer, die dort Verantwortung tragen – aber er vergaß den Selbstbezug. Er klang so, als lüftete er mit der Äußerung den Schleier vor seinen wahren Absichten. Es hatte damit den Charme eines Mannes, der beim ersten Date darum bittet, Kontoauszüge vorgelegt zu bekommen. Es war der in Worte gekleidete Alptraum aller deutschen Bürger, der schlimmste Fall: einer, der es des Geldes wegen möchte. Schlimm genug, wenn das irgendein Kandidat zum Besten gegeben hätte, aber einer, der sich gerade gegen den Vorwurf zu wehren hatte, mit teuren Vorträgen allzu sehr dem Gelde nachzustreben, der will es den Bürgern wohl ganz deutlich sagen: Ich liebe das Geld mehr als euch.
    Und da war es, autorisiert und schwarz auf weiß. Es erging mir wie den Mitarbeitern des demokratischen Präsidentschaftskandidaten und heutigen Außenministers John Kerry, der im Wahlkampf 2004 zu seinem Stimmverhalten bezüglich der Kredite für den Irakkrieg live im Fernsehen geantwortet hatte: »Ich habe dafür gestimmt, bevor ich dagegen gestimmt habe.« Das war’s. Der ohnehin schon als Finassierer und wenig entschlossener Kandidat aus gutem Hause geltende Kerry stand als Wetterfähnchen da, das sich nach dem Wind dreht und es auch noch zugibt. Da wussten selbst die engagiertesten Unterstützer, dass Kerry seinen Wahlkampf beenden konnte, er selbst hatte den Gegnern die beste Waffe geliefert, eine die Vorurteile gegen ihn voll bestätigende Aussage. Vier weitere Jahre George W. Bush mitsamt der am Ende kommenden Finanzkrise folgten.
    Dumm an der ganzen Geschichte war auch, dass Peer Steinbrück es tatsächlich gar nicht so hat mit dem Geld. Er erschien in einem falschen Licht und vermochte nicht, den Eindruck zu korrigieren. Es gibt für Politiker viele Wege, zu etwas Geld zu kommen. Sie können sich ganz in den Dienst gewisser Klienten stellen, können beraten und Mandate sammeln, dann weiß kein Mensch, was sie eigentlich treiben und wer ihre Geschäftspartner sind. So halten es Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Otto Schily. Man weiß nicht, für wen sie arbeiten, was sie verdienen, wie sie ihre früheren Kontakte nutzen. Der transparentere Weg, noch etwas Kasse zu machen – und seit wann ist bei uns das Geldverdienen verboten? –, ist es, Reden zu halten und Bücher zu schreiben. Willy Brandt kam auf diese Weise spät zu etwas Geld, Oskar Lafontaine tat es – beide übrigens für den Springer-Konzern. Es ist eine Tradition in angelsächsischen Demokratien, Winston Churchill erschrieb sich ein Vermögen als Journalist und Autor, alle amerikanischen Präsidenten sind stolz auf Millionenhonorare für ihre Memoiren. Es ist eine transparente Art, Geld zu verdienen: Menschen können lesen, hören und bewerten, was man sagt und schreibt. Auch wenn nicht jede Veranstaltung öffentlich ist, in der heutigen Zeit mit ihren Möglichkeiten der digitalen Mikroaufzeichnung wird jedes falsche Wort den Weg in die Presse und die sozialen Medien finden. Hätte Steinbrück in seinen
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