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Der Zeitenherrscher

Titel: Der Zeitenherrscher
Autoren: Stefan Gemmel
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Säuglinge, die im Schnee lagen. Die verhungert waren oder vor Erschöpfung zusammengebrochen. Viele stürzten auch zwischen den hohen Bergspitzen in den Tod. Wir wurden immer weniger. Und dennoch hielt ich durch. Meine Hoffnung trieb mich voran. Meine Hoffnung und die Gewissheit, dass Nicolaus uns sicher zu unserem Ziel führen würde. Wir sprachen unterwegs immer und immer wieder von dem Wunder, dasuns bevorstand. Von den Wassermassen, die nur für uns auseinanderströmen und eine Gasse durch das Meer bilden würden. Alles das gab uns Antrieb.“
    Sacht strich Caspar mit einer Hand über die Klinge seines Messers, dann legte er es zu Boden.
    „Schließlich hatten wir das Meer erreicht. Jubelnd rannten wir an den Strand und warfen uns dankbar auf die Knie. Nun hatte das Leid ein Ende. Nicolaus würde das Meer teilen und unsere Feinde in Jerusalem dadurch das Fürchten lehren. Ich würde mich beweisen können und als Sieger aus der Stadt hinausziehen. Wir alle blickten voller Hoffnung auf Nicolaus. Also trat er an das Meer, stellte sich in die Wellen. Er nahm das Kreuz, das um seinen Hals hing, und hielt es in die Höhe. Er betete und stieß einen Ruf aus. Und wir alle blickten auf das Meer, bereit, Zeugen dieses unglaublichen Wunders zu werden.“
    Alle Blicke ruhten jetzt auf Caspar. Keiner wagte es, auch nur zu atmen. Selbst der Wind schien sich gelegt zu haben.
    Caspar atmete noch einmal tief ein. „Nichts geschah“, sagte er schließlich. „Nicolaus stand über Stunden am Wasser, und nichts geschah. Nach und nach verließen alle voller Enttäuschung den Strand.“
    Nun nahm Caspar sein Messer wieder auf. „Doch ich hielt zu ihm. Zu Nicolaus und zu meinen Träumen, die ich mit diesem Kreuzzug verband. Ich wollte nicht aufgeben. Ich glaubte immer noch an ein Wunder. Und tatsächlich. Ihr werdet es kaum glauben. Ein Wunder geschah! Zwar teilte sich nicht das Meer vor unseren Augen, doch plötzlich erblickten wir Schiffe, die auf uns zukamen. Sieben Schiffe, die direkt Kurs auf unseren Strand hielten. Der Jubel war groß. Allen, die noch geblieben waren, war klar: Diese Schiffe hatte uns der Herr geschickt.“
    Caspar ließ das Messer auf seinen ausgestreckten Fingern balancieren. Es bewegte sich auf und ab wie ein Boot auf unruhigen Wellen.
    „Fünf dieser Schiffe erreichten auch schließlich das Heilige Land. Die anderen beiden waren während eines heftigen Sturms auf dem Meer versunken. Wir beklagten das Schicksal unserer Freunde, doch wir ahnten nicht, dass die, die im Meer ertranken, das Glück auf ihrer Seite hatten.“
    „Was?“ Salomon horchte auf. „Du meinst …“
    Caspar nickte. „Die Schiffe waren nicht von Gott zu uns gelenkt worden. Ganz im Gegenteil. Kaum hatten wir das rettende Ufer erreicht, wurden wir zusammengetrieben und aneinandergebunden. Von unserem Heiligen Auftrag war nun keine Rede mehr. Aus den Dünen der Wüste tauchten zahllose bewaffnete Reiter auf, und uns allen wurde schnell bewusst, dass wir verkauft worden waren. Wir sollten als Sklaven auf den arabischen Märkten angeboten werden. Wer sich wehrte, wurde sofort hingerichtet. Schnell färbte sich der Wüstensand rot. Man hatte uns verraten. Nicolaus schickte Gebete zum Himmel. Doch er wurde nicht erhört. Wir alle waren zur Sklaverei verdammt. Oder zu noch Schlimmerem. Wir …“
    Noch einmal strich Caspar fast liebevoll über die Klinge seiner Waffe. „Dank meiner versteckten Messer konnte ich mich in der Nacht von den Fesseln befreien und das Lager verlassen. Mein Plan war es, nach Jerusalem zu laufen und den dortigen Kreuzrittern von unserem Schicksal zu berichten. Ich wollte ihre Hilfe. Doch es kam wieder ganz anders. Schon nach wenigen Stunden Flucht wurde ich entdeckt. Meine Spuren im Wüstensand hatten meine Verfolger direkt zu mir geführt. Sie waren mir nachgejagt und hatten rasch meineFlucht gestoppt. Wieder wurde ich gefesselt und sollte zurück ins Lager gebracht werden. Ich hatte alles verloren: Meine Freunde, meine Hoffnung, meine Träume, mein Leben. Mit gezogenen Schwertern führten sie mich ab, als plötzlich, wie aus dem Nichts …“
    „… der Schattengreifer erschien“, vermutete Nin-Si, und Caspar gab ihr nickend recht.
    „Die Männer wichen zurück beim Anblick dieses Mannes. Hinter ihm baute sich aus dem Nichts, aus dem Wüstensand heraus, eine Feuerwand auf, und die Männer flüchteten ängstlich. So stand ich dem Magier allein gegenüber. Er streckte wortlos eine Hand aus und griff sich meinen
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