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Der Zauberer von Schreckenstein

Der Zauberer von Schreckenstein

Titel: Der Zauberer von Schreckenstein
Autoren: Oliver Hassencamp
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lächelte er, zog das Mikrofon näher und machte einen dritten Versuch. „Ich scheine einen Doppelgänger zu haben, der unsichtbar ist... Aha! Jetzt lässt er mich zu Wort kommen. Das ist sehr intelligent von ihm bei der Importanz unseres heutigen Themas. Denn speziell die Renaissance, in Italien damals auch als Restauratio respektive Regeneratio apostrophiert, repräsentiert ein kulturhistorisches Phänomen, dessen Hauptakzent auf der Antike, primär der hellenistischen Tradition...“ Er musste niesen und griff, bevor er fortfuhr, zum Wasserglas. Mitten im Schluck hielt er inne. „Das... das ist ja Öl!“
    Diesmal waren Dampfwalze und Ottokar die Überraschten. Wer hat das Glas hingestellt? überlegten sie. „Öl ölt die Stimme!“ rief jemand hinauf.
    Der Professor hatte das Glas weggestellt und fuhr fort: „Nach klassischer Exegese...“ Ein weiteres Niesen unterbrach ihn. Er schnappte nach Luft und wiederholte: „Nach klassischer Exegese... sind zu viele Fremdwörter zollpflichtig!“
    Sekunden absoluter Stille. Dann brach ein Beifallssturm los. In der ersten Reihe steckten Fräulein Dr. Horn, Mauersäge und der Rex die Köpfe zusammen, und der zierliche Professor hinter dem großen Pult schaute in den Saal, als verstehe er die Welt nicht mehr. Seine Lippen bewegten sich, doch das Mikrofon gab zunächst nicht weiter, was er sagte. Plötzlich war die helle Stimme da, mitten im Satz: „...konföderiert hydrokalküle , bilabile Muldmanie . Automatresistente Vitaminprophylaxe vermystiplaniert emotionsadäquaten Rhetorikkonkurs mittels Feedback auf Aspirinbasis medienmedial effizienter Input-Output-Analysatoren, a priori etcetera apropos.“ Der Rest ging im Johlen der Zuhörer unter. Auch die Ehrengäste konnten nicht ernst bleiben, nicht einmal Fräulein Dr. Horn.
    Nachdem die Jubelwelle sich gelegt hatte, meldete sich Ottokars Stimme in den Lautsprechern: „Wie Sie dem Beifall entnehmen können, Herr Professor, würden wir Ihren Vortrag gern in deutscher Sprache hören.“
    „ Jaaaaaa !“ brüllten Ritter und Mädchen.
    „Selbstverständlich nur, wenn Sie diese Sprache ausreichend beherrschen!“ fuhr Ottokar fort und löste damit erneutes Johlen aus.
    Ob ein Streich ein typischer Schreckensteiner Streich war, das heißt ohne Zerstörungen, gezielt und witzig, konnten die Ritter meist an dem Betroffenen ablesen. Wenn der gute Miene zum dreisten Spiel machte, wenn er letzten Endes einfach mitlachen musste, war die Sache in Ordnung.
    Der zierliche Professor musste mehrmals heftig niesen, doch nickte er tapfer und lächelte in den Saal. Sofort meldete sich Ottokar über die Lautsprecher.
    „Dann bitten wir um Ihren Vortrag über die Renaissance, Verzeihung, ich meine natürlich über die Wiedergeburt! Ab jetzt kostet jedes Fremdwort zehn Pfennig Einfuhrzoll!“
    Sein Vorschlag wurde mit Applaus angenommen, und vor einer aufmerksamen Zuhörerschaft entwickelte der gelehrte Mann ein Bild dieses eindrucksvollen Zeitabschnitts abendländischer Geschichte.
    „Boing!“ Mit nachgeahmtem Gongschlag funkte Ottokar bei jedem Fremdwort dazwischen, worauf der Professor eine Münze aus der Tasche zog und sie auf das Pult legte. Anfangs öfter, später immer seltener. Er war nicht unbegabt und lernte rasch. Manchmal kam ihm ein Niesen zu Hilfe, das ihm Zeit verschaffte. Mit einigen Begriffen tat er sich hart. Etwa bei einer Eigenart der Baukunst, der sogenannten „Rhythmischen Travee “. Von den Giebeln über drei nebeneinanderliegenden Fenstern ist der mittlere anders gestaltet als der rechte und der linke, und diese Betonung wiederholt sich über die ganze Länge des Bauwerks. Wie soll man das nennen? Der Professor entschied sich für „Dreiergruppe“.

    „Linguistisch respektabel talentiert!“ lobte Dampfwalze mit unverstellter Stimme aus dem Kronleuchter.
    Nach dem starken Schlussbeifall dankte der Rex dem Professor und sagte: „Heute haben alle zugehört und dazugelernt. Das kann ich Ihnen versichern.“
    Lachend übergab ihm der Professor zwei Mark und vierzig Pfennige. „Für einen guten Zweck“, wie er sagte. Dann mussten beide niesen.
    Auch Fräulein Dr. Horn machte sich wieder bemerkbar. Mit schriller Stimme rief sie „Um Gottes willen!“ und deutete zur Decke, von der der Kronleuchter zügig herunterschwebte.
    „Keine... ks... Sorge! Der hat seit... ks... dreihundert Jahren... ks... gehalten!“ beruhigte sie der Hausherr, und prompt blieb der Kronleuchter stehen. Hinter dem Schmuck tauchte
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