Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
ateliermäßiges Gepräge verlieh. Herzlich lächelnd, so daß in seinem Barte die gelblichen Zähne sichtbar wurden, schüttelte er dem jungen Manne die Hand, indem er mit baritonaler Stimme und etwas fremdländisch schleppenden Akzenten sagte:
    {31} »Seien Sie uns willkommen, Herr Castorp! Möchten Sie sich rasch einleben und sich wohlfühlen in unserer Mitte. Sie kommen zu uns als Patient, wenn ich mir die Frage erlauben darf?«
    Es war rührend zu sehen, wie Hans Castorp arbeitete, um sich artig zu erweisen und seiner Schläfrigkeit Herr zu werden. Er ärgerte sich, so schlecht in Form zu sein und sah mit dem mißtrauischen Selbstbewußtsein junger Leute in dem Lächeln und dem aufmunternden Wesen des Assistenten Zeichen nachsichtigen Spottes. Er antwortete, indem er von den drei Wochen sprach, auch seines Examens erwähnte und hinzufügte, daß er, gottlob, ganz gesund sei.
    »Wahrhaftig?« fragte Dr. Krokowski, indem er seinen Kopf wie neckend schräg vorwärts stieß und sein Lächeln verstärkte … »Aber dann sind Sie eine höchst studierenswerte Erscheinung! Mir ist nämlich ein ganz gesunder Mensch noch nicht vorgekommen. Was für ein Examen haben Sie abgelegt, wenn die Frage erlaubt ist?«
    »Ich bin Ingenieur, Herr Doktor«, antwortete Hans Castorp mit bescheidener Würde.
    »Ah, Ingenieur!« Und Dr. Krokowskis Lächeln zog sich gleichsam zurück, büßte an Kraft und Herzlichkeit für den Augenblick etwas ein. »Das ist wacker. Und Sie werden hier also keinerlei ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen, weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht?«
    »Nein, ich danke tausendmal!« sagte Hans Castorp und wäre fast einen Schritt zurückgewichen.
    Da brach das Lächeln Dr. Krokowskis wieder siegreich hervor, und indem er dem jungen Manne aufs neue die Hand schüttelte, rief er mit lauter Stimme:
    »Nun, so schlafen Sie denn wohl, Herr Castorp, – im Vollgefühl Ihrer untadeligen Gesundheit! Schlafen Sie wohl und auf Wiedersehn!« – Damit entließ er die jungen Leute und setzte sich wieder zu seiner Zeitung nieder.
    {32} Der Aufzug hatte keine Bedienung mehr, und so legten sie zu Fuß die Treppen zurück, schweigend und etwas verwirrt von der Begegnung mit Dr. Krokowski. Joachim begleitete Hans Castorp auf Nummer Vierunddreißig, wo der Hinkende das Gepäck des Ankömmlings richtig eingeliefert hatte, und sie plauderten noch eine Viertelstunde, während Hans Castorp Nacht- und Waschzeug auspackte und eine dicke, milde Zigarette dazu rauchte. Zur Zigarre kam er heute nicht mehr, was ihm wunderlich und außerordentlich erschien.
    »Er sieht sehr bedeutend aus«, sagte er, indem er beim Sprechen den eingeatmeten Rauch hervorsprudelte. »Wachsbleich ist er. Aber mit seiner Chaussure, höre mal, da steht es scheußlich. Grauwollene Socken und dann diese Sandalen. War er zum Schluß eigentlich beleidigt?«
    »Er ist etwas empfindlich«, gab Joachim zu. »Du hättest die ärztliche Behandlung nicht so brüsk zurückweisen sollen, wenigstens nicht die psychische. Er sieht es nicht gern, wenn man sich dem entzieht. Auf mich ist er auch nicht besonders zu sprechen, weil ich ihm nicht genug anvertraue. Aber dann und wann erzähl ich ihm doch einen Traum, damit er was zu zergliedern hat.«
    »Nun, dann hab ich ihn eben vor den Kopf gestoßen«, sagte Hans Castorp verdrießlich; denn es machte ihn unzufrieden mit sich selbst, jemanden gekränkt zu haben, und so kam denn die Müdigkeit auch mit erneuter Stärke über ihn.
    »Gute Nacht«, sagte er. »Ich falle um.«
    »Um acht hole ich dich zum Frühstück«, sagte Joachim und ging.
    Hans Castorp machte nur flüchtige Nachttoilette. Der Schlaf übermannte ihn, kaum daß er das Nachttischlämpchen gelöscht hatte, aber er schreckte noch einmal auf, da er sich erinnerte, daß in diesem Bette vorgestern jemand gestorben sei. »Es wird nicht das erstemal gewesen sein«, sagte er zu sich, als {33} könne ihm das zur Beruhigung dienen. »Es ist eben ein Totenbett, ein gewöhnliches Totenbett.« Und er schlief ein.
    Aber sobald er eingeschlafen war, begann er zu träumen und träumte fast unaufhörlich bis zum anderen Morgen. Hauptsächlich sah er Joachim Ziemßen in sonderbar verrenkter Lage auf einem Bobschlitten eine schräge Bahn hinabfahren. Er war so phosphoreszierend bleich wie Dr. Krokowski, und vorneauf saß der Herrenreiter, der sehr unbestimmt aussah, wie jemand, den man lediglich hat husten hören, und lenkte. »Das ist uns doch ganz einerlei, –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher